Yara 39 – Aufspaltung
In einer grossen Menge am Klägerplatz wollten wir wieder auf die anderen treffen, nachdem wir dem Luftschiff entkommen waren. Irgendwas sollte hier stattfinden, vielleicht sogar eine Hinrichtung, wie wir gehört hatten. Auf dem Platz standen schon viele Stadtwachen. Vor allem Mercy Killers und sehr viel Publikum. Vorwiegend zwar Oberschichtler und normale Bürger, niemand aus dem Hive.
Auf der grossen Bühne hingen die leeren Galgenstricke hinunter. Daneben stand ein Mensch in Kommandantenuniform und hinter ihm neun Wachen in schillernden Rüstungen. Ausserdem ein anderer Mensch mit Spitzbart und schwarzen Haaren, der in eine Lederrobe gehüllt war. Es schien irgendwie nicht so, als ob hier gerade eine Hinrichtung stattfinden sollte, aber man konnte ja nie wissen.
Tappser sprach in der Menge jemanden an: «Könntet ihr mir sagen, was heute hier stattfinden soll?»
«Wenn ich das wüsste! Eine Hinrichtung scheint das ja heute nicht zu werden. So wie es aussieht, will Arwyl eine Rede halten.»
«Wer ist das?»
Er seufzte, «Outsider…Arwyl Swan’s Son ist der Stellvertreter von Factol Alisohn Nilesia der Mercy Killers. Sie ist eine Tieflingsdame, die mit strenger Hand Gesetze abgeschafft oder erlassen hat. Warum sie selbst nicht da ist, ist mir ein Rätsel…»
«Habt Dank, der Herr.»
Dann fanden wir Cinar, Eule und Karan wieder. Sie berichteten aufgeregt von ihrem Fallschirmsprung.
«Habt ihr schon rausgekriegt, was hier los sein soll?», fragte ich.
Anscheinend nicht, denn Tappser erzählte ihnen, was er eben von dem Menschen aus der Menge erfahren hatte.
«Anscheinend soll Arwyl Swan’s Son, der Vertreter des Factols der Mercy Killers eine Rede halten wollen. Vielleicht sollten wir schauen, dass wir irgendwie hinter die Kulissen kommen.»
Gute Idee! Doch ehe wir irgendwas erreichen konnten, begann die Rede auch schon:
«Bürger Sigils! Ich danke euch für euer Erscheinen. Wir, die Mercy Killers haben eine wichtige Entscheidung gefällt. Wir bieten Schutz und Gerechtigkeit für Sigil und halten so das soziale Gefüge zusammen.
Doch heute müssen wir einen Umbruch verkünden. Das Factol Alisohn Nilesia ist… nun nicht mehr. Das hat unsere Fraktion in ihren Grundfesten erschüttert und zersplittert. Die Soft Killers und die Sons of Mercy gründeten damals die Mercy Killers, doch nun zerfällt unsere Fraktion wieder entlang dieser alten Ordnung. Mit mir als Factol der Sons of Mercy.
Jeder soll angemessen für seine Vergehen verurteilt werden. Niemand soll mehr wegen eines gestohlenen Brotes zwischen zehn Jahren Haft, zehn Jahren Sklavenarbeit oder dem Tod entscheiden müssen, wie es Alisohn Nilesia eingeführt hatte.
Wir begnadigen mit sofortiger Wirkung mehr als 10’000 ungerechtfertigt inhaftierte Personen!»
Er nahm ein Messer aus seiner Robe und schnitt in einer bedeutungsschwangeren Geste ein Galgenseil ab.
«Von diesem Tage an soll Sigils Strafverfolgung seine Ungerechtigkeit für immer hinter sich lassen!»
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging von der Bühne.
Die Menge brach in Freudenlärm aus. Alle schienen es zu begrüssen. Nur einige Mercy Killers, die auch auf dem Platz verteilt waren schienen nicht so begeistert von der ganzen Sache.
Karan fand das auch sehr interessant alles.
«Habe ich jetzt in dieser Rede irgendwie herausgehört, dass er die Soft Killers der Anschläge auf die Factole bezichtigt?»
«Zuzutrauen wär’s ihnen», antwortete mir Karan.
«Vielleicht sollten wir mit diesem Swan’s Son reden», schlug Tappser vor.
Doch dieser war schon längst hinter der Bühne verschwunden.
Wir versuchten über einen der Eingänge ins Gefängnis unser Glück. Vor dem Tor standen weiterhin die typischen Mercy Killers Wachen.
«Wäre es wohl möglich, ein wort mit Arwyl Swan’s Son zu wechseln?», erkundigte sich Tappser frech.
«In der Regel kann man sich einen Termin geben lassen aber im Moment weiss ich nicht mal mehr, ob ich überhaupt einen Job habe! Also jetzt gerade geht es sicherlich nicht, spätestens, wenn die Gefangenen von denen er eben gesprochen hat frei gelassen sind, dann wird er wieder Termine frei haben.»
«Wann ist das denn? Und wo können wir nachfragen?»
Die Wache deutete hinter sich auf das verschlossene Tor. «Ach, geht einfach hinein, ich weiss gerade eh nichts mehr.»
Und so standen wir drin.
Hinter dem Tor war ein Korridor, in dem sich eine Art Rezeption befand. Links und rechts waren überall Gitter. An der Rezeption sass eine Wassergenasi. Ihr Haar bestand aus purem Wasser. Wow! Wie funktionierte das denn?
Tappser erkundigte sich bei ihr nach einem Termin mit Arwyl. Doch da sah sie vorerst keine Chance, auch nachdem wir ihr klar gemacht hatten, dass wir beim Auffinden der verschwundenen Factole helfen wollten. Allerdings konnten wir in den nächsten zwei, drei Tagen nochmals nachfragen. Bis dahin dürfte sich die Aufregung etwas gelegt haben.
Karan fand plötzlich die Idee super, Tappser hinter Gitter zu bringen. Glücklicherweise gelang ihm das nach einem kleinen Zwischenfalel mit einer Wache doch nicht.
«Hm, schade. Wo waren wir denn nochmal? Achja, ich wollte ja eine Hyäne kaufen!»
«Äääääh, wolltest du uns da nicht den Weg zeigen, Arthur?»
«Achso ähhh, jaaaa….welches Zoogeschäft wollten wir nochmal besuchen?»
«Dasjenige, wo man gaaaaanz bestiiiimmt eine Hyäne kaufen kann», zwinkerte ich dem Laternenjungen heftig zu.
Geschwind liefen wir hinter Arthur her, bis er uns im Gründerdistrikt auf einen Hinterhof führte, der wie ein kleiner Zoo aussah. Wir sahen Ziegen, Schafe, Kaninchen, Meerschweinchen, Eulen und es gab sogar einen Wolf und einen Schakal.
Der Verkäufer, ein Dragonborn mit einem langen Hals, wollte mir eine Ziege andrehen.
«Habt ihr nicht eine Giraffe?»
«Eine Giraffe? Nein so etwas habe ich leider nicht, ausserdem wäre diese viel teurer als die Ziege.»
«Naja, ich wollte ja auch keine besitzen, sondern nur mal auf einer reiten.»
Tappser überredete ihn irgendwie dazu, Karan einen weissen Igel als Hyäne zu verkaufen. Dieser fiel zwar nicht darauf herein, machte aber gute Mine zum bösen Spiel, weil er das alles sehr toll chaotisch fand. Er wollte die Hälfte beisteuern, meinte er, den Rest sollte ich bezahlen. Als er aber nach seiner Geldbörse greifen wollte, war diese nicht an ihrem Platz.
«Ich kann vielleicht auch gar nichts beisteuern. Ich fürchte, ich wurde Opfer eines Taschendiebs!»
Der Verkäufer wollte 550 Platin für seinen weissen Igel, doch so viel hatten wir gar nicht dabei. Wir verhandelten eine ganze Weile, bis Karan total sauer auf uns war und uns vorwirft, nicht gut genug auf ihn aufgepasst zu haben. Irgendwann können wir ihn überzeugen, das Geld wohl beim Springen aus dem Luftschiff verloren zu haben. Dann wollte er so schnell wie möglich wieder dahin, wo sie gelandet waren um nachzusehen, ob die Geldbörse da noch irgendwo lag.
Auf dem Weg dahin bemerkten Tappser und Cinar, dass uns die umherstehenden Soldaten sehr misstrauisch zu beäugen schienen. Hauptsächlich die Harmoniumsoldaten. Eine Gruppe davon verfolgte uns sogar. Tappser machte uns darauf aufmerksam und fragte Arthur, ob er eine Möglichkeit sah, ihnen zu entkommen. Schnell schaute dieser sich um und meinte, dass wir durch einige Seitengassen verschwinden könnten.
Doch kurz bevor wir überhaupt in eine der Seitengassen gelangen konnten, schnitt uns eine Gruppe Harmoniumsoldaten, geleitet von einem Hauptmann den Weg ab. Es war der gleiche Hauptmann, den Cinar und ich in der ersten Nacht hier begegnet waren, als wir Spragg gerettet hatten.
«Stehen geblieben!», herrschte er uns an, «wir haben ein öffentliches Anliegen, in welches euer Begleiter verstrickt ist.»
Ohje, jetzt hatten sie uns bestimmt wegen der Kunstschule dran!
Tappser drehte sich zu Arthur um, der schnell die Hände in die Höhe hob.
«Ich habe nichts gemacht!», piepste er.
«Wer interessiert sich für den Jungen!», blaffte der Hauptmann, «es geht um ihn!»
Er zeigte auf Karan, «wir verhaften ihn für die versuchte Entführung eines Luftschiffes! Da kommt er nicht mehr raus! Uns ist sehr wohl bekannt, dass mehrere ‹Karans› in der Stadt ihren Schabernack treiben. Doch gegen euren haben wir zuerst handfeste Beweise gefunden!»
Einer der Harmoniumsoldaten hob das Visier und ich erinnerte mich dunkel daran, dass ich ihr Gesicht schon auf dem Luftschiff gesehen hatte. Da hatte sie einfach zwischen den anderen Passagieren gesessen.
Wir mussten schnell einen Plan fassen, bevor die Soldaten bei uns waren! Schnell kamen wir überein, Karan ihnen vorerst zu überlassen, ihn aber schnellstmöglich aus den ‹Baracken› herauszuholen. Dem Zentauren der Xaositects wollten wir zuerst auch Bescheid sagen. Arthur zeigte uns noch schnell auf der Karte, wo die Baracken waren, wohin sie Karan bringen wollten, dann entschlossen wir, uns zu trennen. Tappser und Cinar würden die Wachen verfolgen, Arthur, Eule und ich wollten dem Zentauren Bescheid sagen gehen.
Eule führte uns problemlos zu dem Haus zurück, durch das wir in das Versteck gelangt waren. Arthur kannte dieses ja nicht. Als wir klopften machte aber keiner auf und auch auf Eules Tritt wollte die Tür nicht reagieren. Aber auf meinen, muaha!
Das Haus war verlassen. Auch der Zwerg sass nicht mehr hinter der Tür aber der Einstieg in den Keller war noch da. Wir folgten dem Gang wieder bis zum Raum mit den Stehtischen und der Bühne, was auch alles verlassen dalag. Ein paar Gängen folgten wir noch, jedoch ohne jemanden anzutreffen. In einem Raum fanden wir eine magische Tür, doch ohne zu wissen, wie sie verzaubert war, würden wir wohl kaum hindurchkommen. Der Zentaure war nirgendwo zu finden. In der Verzweiflung schickte ich ihm eine spirituelle Nachricht und versuchte ihm in wenigen Worten zu berichten, was vorgefallen war. Seine Antwort war nicht sehr ermutigend, brachte uns aber ein wenig weiter. Wir sollten zum ‹Weary Spirit› Krankenhaus kommen. Arthur war darüber nicht gerade begeistert, führte uns aber mit vielen Warnungen auf den Lippen dahin.
Währenddessen versuchte Tappser, die uns bekannte Harmoniumsoldatin in ein Gespräch zu verwickeln. Erst war sie sehr wortkarg und das einzige, was deutlich aus ihr herauszubekommen war, war die Wegbeschreibung zu den Baracken. Dann fragte Tappser nach der neuen Fraktion, den Sons of Mercy. Diese schien ihr durchaus eine interessante Fraktion zu sein, doch so einfach wollte sie natürlich nicht wechseln. Zu den aktuellen Hintergründen wusste sie auch nicht mehr, als Tappser schon bekannt war. Dann kamen sie an den Baracken an, die Tappser und Cinar nicht betreten durften.