Yara 37 – Der mysteriöse Brief
Nachdem wir uns von Tussa verabschiedet hatten, holten wir Tappser von Eleonore ab. Ich bedankte mich bei Tappser für die gute Idee und die Vorstellung bei der Halblingsdame mit dem grünen Daumen.
Vor den Toren des Gymnasiums trafen wir wieder auf Eule.
«Eule, Eule, Eule, Eule!», freute ich mich.
«Ja das bin ich.»
«Wir haben eine Frau getroffen, die hatte eine komische Sprache und hat uns einen Brief gegeben, sie suchte Abenteurer!», ich wedelte mit dem Brief vor ihrem Gesicht herum. Eule nahm das Papier und schnüffelte daran.
«Oh, das könnte ich sein aber ich kann den Brief nicht lesen.»
Eule reichte den Brief schnell an mich zurück. Eifrig nahm ich ihn an mich, und bedachte in letzter Sekunde noch, dass es wohl nicht die beste Idee war, ihn mitten auf der Strasse zu öffnen.
Wir betraten das Gymnasium und suchten uns eine ruhige Ecke etwas abseits von allen anderen, bevor wir den Umschlag öffneten. Eine kleine karmesinrote Münze fiel heraus, die Tappser geschickt auffing. Auf der einen Seite war ein Drachenkopf abgebildet mit Federn statt Schuppen, auf der anderen Seite war eine Gravur von einem Schwert und einem Schild.
Ich las den Text vor:
Helden gegrüßt seid freundlich!
Hive Ward finden müsst in House Safe.
Two-Lamp Way beginnt ihr Kreuzung Whisper Lane.
Zu Westen es geht kleine Hütten bis nach.
Schrinkers Tavern dann Richtung. Geht Norden Stück Rand und folgt bis Straße.
Rand Westen Lot‘s Lane gehen bis.
Zu beige Dach Haus. Süden von Kreuzung bis Keuzung nächste. Haus den meisten klopft beim dort mit Scheiben ihr kaputten.
«Oohhhh ein Rätsel!», rief ich begeistert.
«Ich glaube, das ist einfach von jemandem, der Wortlegastheniker ist», vermutete Tappser.
Ich war voller Elan: «Also auf zum Hive Ward! Aber das soll doch so gefährlich sein! Aber ich bin so neugierig was uns dort erwartet! Ach Leute….»
«Wir haben schon gefährlicheres erlebt», warf Eule ein.
«Stimmt, wir haben einen Drachen erlegt! Und wenn wir schon quasi eine Einladung zum Hive haben und mit der Münze müssten wir doch vielleicht auf der sichererererern Seite sein?»
«Oder vielleicht ist das eine Falle und wir sind noch unsicherer mit der Münze», gab Cinar zu bedenken.
«Das vielleicht aber wir können es nur herausfinden, indem wir da hingehen», sprach mir Tappser aus der Seele.
Wir sahen auf die Uhr des Hauptgebäudes. Kurz vor 17 Uhr. Dann musste das Abenteuer wohl bis morgen warten.
«Melt wollte mir Essen geben», erinnerte sich Eule.
«Magst du Melt denn? Er scheint dich ja sehr zu mögen», wollte Tappser wissen.
«Naja, er gibt mir Essen also mag ich ihn.»
«Und magst du ihn sehr sehr? Mehr als Essen?»
«Hm, also ich bin nicht sicher, ob ich ihn mehr mag als euch, weil ihr gebt mir auch Essen udn euch kenn ich länger als ihn.»
«Zur Not kannst du Tappser essen», schlug Cinar vor.
«Oje, den müsste man aber erst schälen, weil Haarbälle und so!»
«Ich werde nicht geschält!»
Nachdem wir das auch geklärt hatten, vertrieben wir uns noch ein wenig die Zeit mit Lesen, bevor wir nach und nach wieder getrennte Wege gingen. Eule brach zur Festhalle auf und Tappser ging wieder zu Elanore.
Cinar und ich teilten uns wieder in der gleichen Taverne wie gestern ein Zimmer, nachdem wir auch dort gegessen hatten. Beim Essen hatten wir die Ohren aufgesperrt und erfuhren gerüchteweise, dass die Gerichte der Mercy Killers wohl einen internen Konflikt austrugen und weniger mit den übergreifenden Konflikten zu tun hatten. Cinar hatte noch einen Ork sagen hören, dass das Monster der Doomguard, das die Armory leitete, einfach an alle Waffen verteile.
Vor dem Schlafengehen bereitete ich im Gebet zu Mielikki den Zauber vor, mit dem ich gedanklich kurze Nachrichten versenden konnte. Die Flüsterstimmen hielten mich allerdings in der Nacht vom Schlafen ab und so war ich nicht wirklich ausgeruht am nächsten Morgen.
Beim Frühstück versuchte ich in meiner geistigen Umnachtung den Fluch von Cinar wegzuheilen. Doch das half natürlich nichts.
Am Gymnasium trafen wir wieder auf Tappser und Eule. Tapper erinnerte sich nicht an viel aus der vergangenen Nacht, er hatte es wohl mal wieder mit den speziellen Getränken hier übertrieben. Eule meckerte über die Vorspeise, die Melt ihr gestern aufgetischt hatte, die wohl viel zu klein gewesen war (aber der Hauptgang war gut gewesen).
Um Cinars Untopfitheit richtig zu heilen, wollten wir zuerst ins Tempeldistrikt gehen. Die Tempel von Apollo, Frigga oder Pelor waren uns dafür in der Halle der Informationen empfohlen worden. Im Tempeldistrikt fanden wir noch einen riesengrossen Turm, der wie ein überdimensionierter Taubenturm aussah. Auf Nachfrage antwortete einer der blutroten Wächter, dass das ein Wachtturm sei und hier Wyvern gehalten würden. Streicheln nicht empfohlen.
Eule wollte schon immer mal so einen bekämpfen und hatte sich über die Wyvern informiert. Sie waren wohl nicht so intelligent wie Drachen, konnten deswegen auch nicht sprechen, waren aber grösser als unser Roc oder Greifen. Drachen hatten vier Beine und Wyvern nur ihre Flügel und Hinterläufe.
Wir sinnierten über die Geschehnisse in unserer Gildenhalle nach und ob die Flüchtlinge aus Sundabar schon in Neverwinter angekommen seien. Da spürte ich den vorbereiteten Zauber in einem Winkel meines Kopfes. Doch bevor ich etwas sagen konnte, wurden wir alle vom Anblick des nächsten riesigen Tempelgebäudes erschlagen. Der Tempel von Io war über und über mit Drachenbildnissen in verschiedenster Form bedeckt und es gingen einige Kleriker ein und aus. Tappser hatte gehört, dass Io der Hauptgott der Drachen, auch selber ein Drache sei.
Cinar sprach einen der Kleriker an: «Hallo! Ich suche einen Kleriker, der mir mit einem, naja, vielleicht einen Fluch? weiterhelfen könnte. An wen könnte ich mich denn da wenden?»
Der Kleriker strich sich durch seinen langen grauen Bart: «Direkt über uns liegt der Tempel von Apollo, die kennen sich in der Hinsicht wohl am besten aus.»
«Dankeschön!»
Davor kamen wir noch an einem Uhrenturm vorbei. Er war als Tempel von Primus angeschrieben, dem Gott der Mechanik und Konstruktion. Gegenüber lag endlich der Tempel von Apollo. Er war mit riesigen ionischen Säulen bestückt und auch hier waren Kleriker in crèmeweissen Roben anzutreffen.
«Ich grüsse euch, wo finde ich denn einen Kleriker für die Entfernung von Flüchen?», sprach Cinar einen an.
«Mein Kind, da seid ihr hier genau richtig. Natürlich könnt ihr jederzeit den Tempel betreten, hier können einige von uns Flüche heilen.»
«Wie finde ich denn so einen am besten?»
«Ich kann euch gerne direkt an jemanden weiterreichen, wir beschäftigen uns allerdings grösstenteils mit der Heilung von Flüchen, wenn ihr jemanden mit einem Fluch belegen wollt…»
«Nein, das ist genau das, was ich suche.»
«Dann kann ich euch an unseren Ältesten Pothas empfehlen. Den findet ihr zu dieser Tageszeit vermutlich direkt unter der Apollostatue. Er müsste noch in seine Gebete vertieft sein.»
Als wir den Tempel betraten sahen wir sofort, was der Kleriker gemeint hatte. Eine riesige Apollostatue stand vor einem grossen Teller, in dem ein helles Feuer loderte. Davor kniete ein alter Kleriker. Vermutlich Pothas.
Wir setzten uns auf eine Bank in der Nähe und warteten geduldig darauf, dass er seine Gebete beendete. Nach zehn Minuten erhob er sich auch schon. Cinar stand auf und trat auf den Mann zu. Pothas hielt sofort inne und begrüsste ihn mit den Worten «Seid gegrüsst mein Kind.»
Cinar erklärte ihm, in welcher Situation er sich befand und wie sich der Fluch auf ihn auswirkte.
«Ich verstehe. Nun, lasst uns uns etwas zurückziehen.» Er reichte ihm die Hand. «Lasst mich einmal eure seelische Stimmung identifizieren.»
Cinar reichte ihm verwirrt die Hand. Pothas schloss kurz die Augen.
«Ich verstehe, ich verstehe. Ich weiss, was auf euch lastet. Das Gute ist, ich kann euch Linderung versprechen. Ihr schein einem Golem oder etwas Ähnlichem begegnet zu sein, der eure physischen Kräfte dauerhaft beeinträchtigt hat. Das ist ein Leichtes für uns.»
«Und was kostet das?»
«Ja, Heilungen in Sigil sind natürlich nicht die günstigsten, doch in eurem Fall wird es sich lohnen, von daher der übliche Preis von 20 Platin.»
Nun wollte auch Tappser seinen Fluch von Pothas analysieren lassen. Dieser runzelte die Stirn, als er Tappser die Hand gab:
«Nun, euer Fluch scheint etwas anders zu sein. Auch heilbar, aber etwas aufwändiger. Euch kann ich ein Angebot von 30 Platin machen.»
Nach etwas Verhandeln konnten beide noch einen Preisnachlass von fünf Platin erhalten. Cinar zahlte zähneknirschend und wurde durch den Kleriker in einen Nebenraum geführt. Tappser war das zu viel.
Nach kurzer Zeit kam Cinar auch schon wieder raus.
«Leute, mir gehts wieder gut! Wir können wieder Abenteuer erleben!», strahlte er.
«Dann können wir ja gleich damit anfangen», freute sich auch Eule.
Und so machten wir uns auf den Weg in den Hive. Wir betrachteten noch mehere hübsche Tempelgebäude und kamen auch an der Waffenkammer vorbei, wovor eine sehhhr lange Schlange von Leuten stand. Auf Nachfrage erfuhren, wir dass das Gerücht, das Cinar in der Taverne gehört hatte, tatsächlich der Wahrheit entsprach. Die Waffen wurden wohl kostenlos abgegeben, allerdings nur an bestimmte Fraktionsmitglieder.
Ausserdem kamen wir noch an einem kleineren Markt vorbei, dort wurden anscheinend hauptsächlich Rohmaterialien verkauft. Seinen kleinen hübschen Rubin wollte Tappser dort aber nicht verkaufen.
Wir merkten, dass wir nach und nach in die Nähe des Hives kamen. An der Leichenhalle der Stadt standen und gingen überall in schwarze Kutten gehüllte Gestalten. Tappser vermutete viele Ghule in der Nähe, was ihm sein Ring auch bestätigte.
Dann waren wir im Hive angekommen. Alles sah sehr heruntergekommen aus. Die Häuser schienen nur zur Hälfte überhaupt bewohnbar zu sein. Es gab viele Bettler auf den Strassen. Die schienen wohl aus der ganzen Stadt hierher abgeschoben zu werden. Mir taten die armen Seelen hier alle so leid. Wir folgten der Strasse und stolperten über einen weiteren Markt, der allerdings geschlossen zu sein schien. Auch die Tavernen hier waren schon um diese Zeit sehr gut besucht.
Wir kamen an die Ecke Two-Lamp Way / Whispers Lane und orientierten uns an dem rätselhaften Brief. Wir fanden die beschriebenen Hütten, die sich den ganzen Whispers Way entlang zu ziehen schienen. Es war eindeutig eine der am schlechtesten angesehenen Strassen des Hives. Alle starrten uns an. Als nächstes suchten wir die Shrinkers Tavern, doch die Hütten waren überall. Wir kamen zunächst an einen Platz mit einigen Häusern, die vielleicht früher mal ein Stadtvillenkomplex waren, doch nun war alles vollgemüllt und der Platz war voll mit kleinen Holzhütten, die aus den zerfallenen ehemaligen Villen gezimmert worden waren. Am Rand des Platzes war ein kleiner Laden für Zauberschriftrollen, der regelrecht herausgeputzt aussah und völlig fehl am Platz wirkte.
Cinar und ich betraten den Laden. Der Boden war sauber und an Schreibtischen links und rechts sassen Kunden, die teilweise magische Dokumente für sich schrieben. Am Ende des Raumes war noch ein grösserer Schreibtisch, auf dem sich die Dokumente bis zur Decke türmten. Dahinter war ein Schrank, der wie ein Weinregal aussah, nur voll mit Schriftrollen. Ein Mann mit Schlangenhaaren war gerade dabei, dort einige Rollen einzusortieren, als Cinar ihn ansprach und nach der Shrinkers Tavern fragte. Der Mann beschrieb uns den Weg, empfahl uns sein Lieblingsgetränk und auch sein automatisches Schreiberlädchen, in dem man sogar Urkunden vervielfältigen konnte.
Wieder draussen gingen wir den beschriebenen Weg nach Norden. Tappser knurrte alle an und Eule schnappte nach jedem, der uns zu nahe kam.
Wir folgten weiter der rätselhaften Wegbeschreibung und kamen an einem Laden vorbei, der sich Prime Exotics nannte und eine Art Zoofachgeschäft war. Drinnen roch es sofort nach Tier und Leid und Angst und es war so laut! Es schnatterte, brummte, zwitscherte und tirilierte da drin. Die armen Tiere!
«Bitte bitte bitte lasst uns wieder gehen!», flehte ich. Auch Sylvie und Maturin verkrochen sich ganz tief in meinen Taschen.
Doch Tappser musste unbedingt zwei Bücher kaufen und noch ewig über die Greifenschule von Loudwater reden bevor ich endlich der Qual entrinnen konnte.
Auch den anderen war nun wieder eingefallen, dass ich den Sendungszauber heute ja anwenden können müsste und so sandten wir eine Nachricht an Nehil, mitten im Hive: «Hallo Nehil, es geht uns gut, sind in Sigil und suchen einen Weg raus. Kann noch eine Weile dauern, liebe Grüsse Tappser, Cinar, Eule, Yara.»
Sofort kam die Antwort: «Hallo Yara, ich hoffe ihr kommt bald zurück, ich vermisse euch und vor allem Tappser, schnief, hier läuft es gut, es gibt kaum Probleme. Grüsse zurück.»
Kaum Probleme….? Oje. Und insgeheim hoffte ich, dass Tappser ein wenig ein schlechtes Gewissen hatte wegen Nehil.
Weiter ging es der Wegbeschreibung nach. Als wir in die Nähe des Randes von Sigil kamen, fragten wir uns, was da eigentlich passierte. Und konnte man auf der Aussenseite von Sigil herumlaufen?
Und dann standen wir wieder da, wo wir gestartet waren, an der Ecke Two-Lamps Way / Whispers Lane. Was für eine Veräppelung…
Also suchten wir das heruntergekommenste Haus an der Ecke mit den meisten kaputten Fenstern und klopften an. Nur die Tür sah noch einigermassen robust aus. Auch sie hatte – wie alle anderen Türen hier im Hive – einen Guckschlitz.
Der ging plötzlich auf, nachdem Tappser angeklopft hatte.
«Seid ihr eingeladen?», fragte eine tiefe Stimme.
Tappser zeigte die Münze. Es polterte kurz, der Schlitz ging zu und die Tür quietschend auf. Dahinter stand ein Zwerg neben einem Hocker. Hinter ihm war ein langer Flur zu sehen.
«Geht einfach den Gang entlang, dann die Leiter runter in den Keller. Folgt dann dem dunklen Gang, bis ihr in einen beleuchteten Raum kommt.»
Vorsichtig folgten wir dem Gang in den Keller. Dort standen ein paar uralte Fässer und Kisten herum und ein gegrabener Gang führte schräg nach unten. Dieser zog sich einige Zeit. Doch irgendwann sahen wir Licht. Tappser ging vor, versicherte sich, dass wir nicht sofort überfallen wurden und winkte uns dann in den Raum hinein. Darin standen einige Tische um die sich noch andere, offensichtlich alles Abenteurergruppen, angeregt unterhielten. Im hinteren Teil des Raumes war eine Bühne aufgebaut und es gingen einige weitere Tunnel ab. Was war das denn? Das geheimste Death Metal Konzert Sigils?
Wir stellten uns am Rand um einen Tisch und beobachteten die Menge. Kurz darauf erschien eine mysteriöse Gestalt in dunkler Robe in gebückter Haltung im Eingangstunnel, sah sich um, winkte in den Gang hinein und es folgte noch eine Gruppe. Diese Szene wiederholte sich noch einmal.
Ich war komplett verwirrt, was war hier los?
Auch die anderen schienen von Yaxis angesprochen worden zu sein, fand Tappser heraus.
Dann hörten wir Schritte von hinter der Bühne. Yaxis erschien, gefolgt von einem muskelbepackten blonden Menschen und einer in rot gekleideten Dame mit aufgesetzten Hörnern und einem Zentauren mit gold gefärbtem Fell mit einem Stab in der Hand. Dann kamen elf identische Wesen mit gelber Haut und spitzen Ohren auf die Bühne. Nun war ich komplett überfordert.
Der Zentaure trat vor und klopfte mit seinem Stab auf den Boden um für Ruhe zu sorgen.
«Danke für euer zahlreiches Erscheinen. Ihr fragt euch sicher alle, was hier gerade vor sich geht. Yaxis, sammel doch bitte die Tokens ein, die du verteilt hast.»
Und Yaxis trat gleichgültig an alle Gruppen heran, um die Münzen einzusammeln.
«Nun, viele von euch werden mitbekommen haben, dass in den letzten Wochen etwas nicht zu stimmen scheint. Etwas geht vor sich. Wir wissen auch nicht genau, was. Ich bin Peckich, ein Zentaur der Xaositects und wir brauchen eure Hilfe um herauszufinden, was vor sich geht. Ihr habt sicherlich gehört, dass Factol Terrance von den Athar, Factol Pentar von der Doomguard, Bria Tomay, Lethea und Lysander von der Free League verschwunden sind. Ausserdem gibt es viele Gerüchte, dass auch andere Factole seit einer Woche nicht mehr gesehen worden sind. Viele der Fraktionen verdächtigen sich untereinander. Das würde Sinn ergeben, wenn nur einer oder zwei Factole verschwinden. Aber wenn es so viele sind, dann muss etwas anderes dahinter stecken. Auch die Prediger von Asherton predigen eindringlicher und öfter vom Ende von Sigil. Wir wissen nicht, was vor sich geht aber wir wollen unseren Factol Karan beschützen. Und hier kommt ihr ins Spiel. Elf Factole zu erwischen» – und er deutete auf die elf Klonwesen hinter sich – «wird schwierig.»
Der Zentaure schien total stolz auf seinen Plan zu sein. Yaxis ging mittlerweile die elf Klonfactole ab, von denen sich jeder eine Münze zog.
«Diese elf Factole werden öffentlich auftreten, während unser echter Factol sicher versteckt wird. Begleitet ihr als Bodyguards die Factole für drei Tage und drei Nächte und seht, was passiert! Euch steht jegliche Belohnung zu, die ihr euch wünscht. Wir werden alles für euch besorgen.»
Ein Raunen ging durch die Menge. Dann kamen die Fragen:
Zusätzliches Schutzpersonal? – Nein.
Wie sieht es nachts aus? – Sämtliche Kosten dieser drei Tage werden erstattet. Auch nachts sind wir für die Sicherheit unseres ‹Factols› zuständig.
Wird das nicht auffallen? – Doch, das war das Ziel. Der Gegner sollte denken, dass einer der elf ‹Factole› der echte sei. Auf die Idee, dass der echte versteckt sei, würde niemals nie nicht jemand kommen. Mann, hatte dieser Zentaure eine überhebliche Lache.
Dann wurden die ‹Factole› den einzelnen Abenteurergruppen zugeordnet. Der zehnte ‹Factol› beschrieb unsere Münze. Drei Gruppen gingen leer aus, doch sie sollten einen Trostpreis erhalten, für die der Zentaure sie über einen Gang hinausführte. Dann war die Bühne wieder leer.
Wir unterhielten uns eine Weile mit Rr’ka, unserem Factol Karan Double. Er zuppelte sich ständig an seinem schlecht angeklebten Bart herum, also nahm ich meinen Moosstab und liess etwas Baumharz auftauchen. Sein Plan für den Tag schien übersichtlich: Er wollte zum Markt und etwas shoppen, dann kandierte Äpfel zum Abendbrot und auf eine Nachtwanderung hatte er auch Lust. Und wir sollten uns früh um einen Laternenjungen kümmern, dann seien sie nämlich billiger.
Ich liess mich total von ‹Karans› Freude und Unternehmungslust mitreissen. Das würde ein wundervolles Abenteuer werden!
«Die Xaositects predigen die Schönheit des Chaos und das Chaos verbreitet man, indem man einfach tut, wozu man Lust hat, also zum Beispie auch mal etwas… klau..fen oder nein! Noch besser! Wir bezahlen einfach mehr, als es Wert ist! Bezahlt ja eh alles die Fraktion!»
Dann gingen wir in gebührendem Abstand zu ein paar anderen Abenteurer-Fractol-Double-Gruppen wieder hinaus auf die Strassen.
«Ahhh die Luft an der Oberfläche! So geniesst man Sigil! Gruppe! Geleitet mich zum Markt!»
Nun wurden wir noch seltsamer angestarrt. Die Leute tuschelten schon. Sicher war das auch nicht das erste ‹Factol›, das heute hier vorbeilief.
An der Halle der Informationen und an der Kunstschule mussten wir auf dem Weg zum Markt vorbei. Vor der Kunstschule blieb unser Double plötzlich stehen und sah sie an.
«Wisst ihr, für eine Kunstschule ist die Fassade aber ziemlich trist.»
Stimmt eigentlich! Ich schüttelte meinen Moosstab: «Ich könnte Blätter wachsen lassen!»
«Oh, das find ich gut! Yara! Lasst Blätter wachsen!», befahl er mir.
Und ich liess über die ganze Fassade Blätter und Kräuter wachsen. ‹Karan› kugelte sich vor lachen. Als die Pflanzen oben angekommen waren rief er: «Jetzt aber schnell weg!», und nahm die Beine in die Hand.
Wir mussten uns ganz schön sputen, um Schritt halten zu können. An der nächsten Kreuzung blieb er wieder stehen.
«Oh, ich weiss auf was ich jetzt Lust hätte! Hier die Strasse runter gibt es ein Törtchengeschäft. Kandierte Äpfel gibt es ja erst heute Abend.»
Und er machte sich auf zu einem Geschäft namens «Paltry’s Pastries» und betrat ihn ohne Umschweife. Alle machten grosse Augen als ‹Factol Karan› den Laden betrat. Er ging zum Tresen, drehte sich um und fragte, wieviel Hunger wir haben. Dann bestellte er bei der kleinen Tabaxidame hinter dem Tresen:
«Hm, wir nehmen… alles!»
Dann stupste er Cinar an: «So! Und jetzt handel sie hoch!»
«480 Platin wird das dann», piepste die Tabaxidame scheu.
«Also unter fünfhundert geht gar nichts!»
«Aber das ist ja mehr als es kostet! Also da müssten wir noch mehr backen, da müsst ihr dann warten und später wieder kommen. Oder ich geb euch einen Rabatt! Moment ich muss meine Vorgesetzte fragen gehen.»
«Wir könnten jetzt auch einfach die fünfhundert Platin hinlegen und rausgehen», schlug Eule vor.
Mitarbeiter des Ladens hatten in der Zeit schon einige Boxen voll Kuchen, Törtchen, Muffins und Cupcakes hervorgetragen.
«Die Idee gefällt mir! Schnappt euch die Kuchenboxen und haut ab!», und er legte einfach seinen ganzen Geldbeutel auf den Tresen und rannte hinaus.
Tappser, der draussen gewartet hatte, schaute sehr verdutzt, schnappte sich aber trotzdem von Cinar ein paar Boxen und rannte hinterher.
Ein paar Strassen weiter setzten wir uns hin und assen ein paar Törtchen.
«Vielleicht sollten wir Yara zurückschicken und den Geldbeutel zurückholen lassen, ohne Geld», kam Eule die nächste Chaosidee.
«Oh, das gefällt mir. Yara! Macht das!»
«Zu Befehl Factol Karan!»
Cinar raunte mir zu, sodass ‹Karan› es nicht mitbekam, dass es eventuell eine gute Idee wäre, das zuviel Bezahlte einzustecken, nur zur Sicherheit.
Ich huschte also zurück. Am Laden hing nun ein «Geschlossen»-Schild, doch die anderen Gäste waren noch drinnen. Die Tabaxidame gab mir den Beutel mit knapp 120 übrigen Platin drin zurück. Ich liess ihr zwei davon als Trinkgeld da und packte die verbliebenen 118 Münzen in meine Tasche.
Zurück bei den anderen hatte der ‹Factol› schon die nächste Idee: wir mussten unbedingt heute Nacht auf den Nachtmarkt!
«Da, also, ich habe gelesen, dass es da unendliche Taschen gibt! Und wenn man zwei ineinander stopft, passiert etwas Spezielles, das will ich unbedingt mal in echt sehen!»
«Vielleicht sollten wir uns dann auch überlegen, wie wir wieder an Geld kommen können», warf Cinar ein.
«Wir könnten doch die ganzen Torten hier verkaufen!»
«Sehr gut, na los! Jeder schnappt sich eine Box und geht die verkaufen.»
«Aber wir sollten doch auf euch aufpassen, das ist so etwas ungünstig.»
«Auch wieder wahr. Dann verkaufen wir die Torten eben an die Schüler des Gymnasiums.»
Damit konnten wir uns alle abfinden.
Die Wachen vor dem Tor erkannten uns natürlich wieder und kauften uns sogar ein Törtchen ab. Für fünf Platin – nein vier! – nein 3! – das mit dem Runterhandeln hatte Cinar im Griff.
Trotzdem verkaufte er von uns allen im Gymnasium am wenigsten. Wir machten sogar teilweise Gewinn damit. ‹Factol Karan› gaben wir 300 von den 500 Platin, den Rest steckte ich ein. Sicherheitshalber.
Plötzlich stand Arthur, der Laternenjunge vor Cinar und wollte auch einen Cupcake haben. Nach einer zähen Verhandlung schenkte ihm Cinar das Gebäck.
Ich versuchte, ihn für unsere Nachtwanderung zu gewinnen. Nach weiteren Chaosverhandlungen bekam er dafür drei Cupcakes und ein paar Platin von uns und weitere Platin von ‹Factol Karan›, der sich sehr über Arthurs Geleit freute.
«Ich habs mir überlegt, ich will nicht mehr zum Markt, ich will lieber in den Lady Bezirk. Der Markt ist mir nämlich doch zu voll, da sind mir zu viele Leute. Ich will auch nicht über den Marktbezirk in den Lady Bezirk.»
«Dann müssen wir über den Hive», sagte Arthur.
Also gingen wir den Weg zurück, an «Paltry’s Pastries» (jetzt geschlossen) und an der Kunstschule vorbei, wo Gärtner schon fleissig dabei waren, den ganzen Bewuchs weg zu schneiden. Durch den Hive bis zum Gatehouse Sanatorium.
«Oh das wär auch lustig, wenn wir uns darin als Besucher ausgeben würden!»
«Oh ja!», freute ich mich, «aber das schaffen wir heute nicht mehr. Wir haben ja drei Tage Zeit.»
Auch an der Schmiede kam ihm eine neue Idee: «Das sollten wir auch machen! Einen der Schornsteine verstopfen! Wir haben ja drei Tage Zeit!»
Dann standen wir plötzlich vor einem Tränkeladen.
«Wisst ihr, was ich hier lustig finden würde?»
«Alles zusammen zu mischen!», das fand ich eine super Idee.
«Jaaa! Und alles umetikettieren!»
«Jaaa!!»
Tappser wurde die Ablenkung des Ladenbesitzers auferlegt, während wir anderen Chaos stifteten und auch ein paar Tränke mitgehen liessen. Ich fand einen Unsichtbarkeitstrank und ‹Karan› steckte sich einige Farbtränke ein. Der Typ gefiel mir!
Wir folgten ‹Karan› weiter in den Lady Bezirk. Wir kamen dabei an mehreren Tempeln vorbei, unter anderem den von Ptah und vom Abyss.
«Wollen wir den Tempel einfärben? Ich habe rot, grün, gelb, pink…»
«Oh, ich glaube pink mag er am wenigsten!» Cinar war begeistert von der Idee und warf en geklauften Trank mit vollem Karacho an die Wand. Es gab eine Explosion.
«Ups das war vielleicht doch kein Farbtrank, den hatte ich wohl umgelabelt.»
Wir hörten schon die Trillerpfeifen der Harmoniumsoldaten, als wir die Beide wieder mal in die Hand nahmen. Dank Arthur und seinen Ortskenntnissen konnten wir diesen jedoch schnell entkommen. Aus der Richtung des Tempels stiegen nun Rauchwolken auf. Cinar freute sich.
«Und morgen kaufen wir ein paar Gefangene frei. Damit rechnet niemand! Oh und jetzt – beim Palast des Narren gibt es eine grosse Uhr, die drehen wir ein paar Stunden zurück, dann werden alle überrascht sein, wenn es plötzlich dunkel wird.»
Und schon lief unser Karan wieder vor zur grossen freistehenden Uhr. «Ideen? Oh, wartet, ich hab eine. Wachen! Wachen! Die beiden wollen mich entführen!» und er zeigte auf Cinar und mich und rannte davon, während Tappser und Eule in den Uhrenturm einstiegen.
Plötzlich waren wir von dreissig Wachen umringt und verlangten, dass wir uns ergaben. Wir hielten sie eine Weile hin, bis plötzlich zehn davon anfingen zu schweben und weitere zehn unsichtbar wurden. Schnell versuchten wir, durch die Lücken, wo vorher die schwebenden Soldaten gestanden hatten zu entkommen. Cinar musste mich dazu unter den Arm klemmen, da ich fast strauchelte. Eine wilde Jagd begann. Ich sah noch Eule (mit ein paar Trankfläschschen in der Hand) und Arthur neben dem Uhrenturm stehen, dann waren wir auch schon um die Ecke.
Wir wurden zwar noch relativ lange durch die Wachen verfolgt doch schliesslich und endlich konnten wir sie doch irgendwie abhängen. Jetzt hatten wir aber die anderen verloren. Auf gut Glück liefen wir wieder ein Stück zurück und plötzlich fand uns Tappser in einer Seitengasse wieder. Als wir wieder bei den anderen ankamen, war es plötzlich dunkel. Arthur war komplett überrascht davon und zündete blitzschnell seine Laterne an.
«Hm, jetzt ist es doch schon so spät. Na, dann lasst uns in den Marktbezirk gehen, da kenne ich eine Taverne. In der Nähe ist auch ein Süssigkeitenstand, da können wir kandierte Äpfel holen und uns erst mal ausruhen. Den Rest an Schabernack treiben wir dann morgen.»
Sicherheitshalber ging Tappser geduckt vor – wir wurden ja jetzt wohl von den Wachen gesucht. Wir folgten in Arthurs Lichtschein. Als die Luft rein war, leitete ‹Karan› uns zur Taverne. Der Süssigkeitenstand daneben hatte natürlich geschlossen. Aber wann hatten geschlossene Türen Tappser je aufgehalten? Also, jetzt ausser einer gewissen Tür in einem gewissen Turm… ahem.
Der Tabaxi klickte schnell die Tür auf, krallte sich kandierte Äpfel so viele er tragen konnte und liess sogar etwas Geld dafür liegen. Die Tür schloss er fein säuberlich wieder ab.
Nach den Strapazen hatten wir uns alle einen kandierten Apfel verdient.
In «Mustys Taverne» zahlte ‹Karan› passend für sieben Zimmer (das erwartete keiner!) und wir verschoben noch Betten herum und teilten Wachen ein. Arthur freute sich sehr darüber, mal wieder in einem richtigen flauschigen, sauberen Bett nächtigen zu dürfen.
Cinar und ich sollten die zweite Wache übernehmen.