Yara 33 – Turm und Drang
Tappser und Eule kehrten mit fünf erlegten Rehen zurück. Eine erfolgreiche Jagd, wie ich mit Bedauern feststellen musste. Lady Tharbjörn und Sahid stritten sich immer noch über die geeignete pädagogische Herangehensweise, wie mit dem Roc umzugehen war. Eule legte die Jagdbeute vor Cinars Füsse. Der freute sich, zerlegte eines der Tiere an Ort und Stelle und schob die Hälfte durch den Käfig. Der Roc schlang sofort das Stück hinunter.
Ich redete Sahid und den beiden anderen Jungs gut zu und sprach auch ein ernstes Wörtchen mit Lady Tharbjörn. Dann liessen wir die vier weiterarbeiten. Die Rehe brachten wir noch in die Vorratskammer, danach machten wir uns wieder auf nach Mornbryns Schild. Vielleicht wollte uns ja jemand in den Sumpf begleiten, zum Turm des Zauberers.
In der Taverne sassen nur ein paar ältere Herrschaften und einige sehr betrunkene Leute. Menlo Schildwächter war nirgendwo zu sehen. Er hatte ja immerhin den Turm schon einmal zu Gesicht bekommen und könnte vielleicht mitkommen wollen?
Wir bestellten Bier und Tee und unterhielten uns über unsere nächsten Schritte.
«Vielleicht bräuchten wir jemanden, der sich im Sumpf etwas auskennt, damit wir nicht gleich im Morast ersaufen?», gab ich zu bedenken.
Da kam der Wirt mit unseren Getränken und verlangte zwei Silber von jedem.
Cinar fragte ihn nach jemandem, der sich im Sumpf auskannte.
«Na für so jemanden kann ich euch Torfstecher Mo empfehlen. Abenteuerlustig ist er wohl nicht wirklich, dafür kennt er sich aber dort sehr gut aus.»
Das klang doch nicht schlecht! Wir fragten ihn noch nach Menlos Adresse und machten uns dann auf.
«Ach, da seid ihr ja wieder! Nun, wie kann ich euch diesmal helfen?», fragte er, nachdem er uns die Tür aufgemacht hatte.
«Seid gegrüsst, wir haben vor den grossen unsichtbaren Turm zu suchen und wir dachten uns, vielleicht wolltet ihr ja mitkommen», schlug Tappser vor.
«Oh! Ein sehr erhofftes Angebot, aber ich denke, in meinem Alter bin ich da nicht mehr für geschaffen, auch wenn es mich durchaus reizen würde.»
Auf Nachfrage empfahl auch er uns, Mo aufzusuchen. «Aber berichtet mir, wenn ihr wieder da seid, ja?»
«Natürlich!»
Der Wind wehte leicht über die Felder und hinter einer kleinen Anhöhe, die wie ein natürlicher Damm zwischen Stadt und Sumpf lag, stand eine kleine Hütte. Davor entlud ein Mann eine Schubkare mit Torfblöcken. Er schien – wie auch seine Hütte – in die Jahre gekommen. Ein grauer Bart zierte seinen ansonsten kahlen Kopf und er trug eine löchrige Latzhose und Stiefel.
«Guten Tag der Herr, seid ihr zufällig Mo?», wollte Cinar wissen.
«Oh hallo! Besuch hier draussen? Ja! Wie kann ich euch helfen?»
«Wir suchen jemanden, der uns gefahrlos durch den Sumpf führen kann und da fiel immer euer Name.»
«Natürlich! Da muss man schon genau aufpassen, wo man hintritt, sonst war man das erste und letzte Mal im Sumpf.»
«Wir müssten allerdings relativ weit in den Sumpf hinein, da wir einer alten Legende auf die Spur kommen wollten…»
«Aaach, die alte Legende, ja ja. Das Geld könnt ihr euch sparen. Ich lebe schon mein ganzes Leben im Sumpf und ihr könnt mir glauben: da ist kein Turm.»
Cinar fragte nach dem Preis fürs Rein- und wieder Hinausführen.
«Zehn Gold.»
Cinar reichte dem Mann das Geld.
«Wann soll es denn losgehen?»
«Nun, wenn ihr Zeit habt, würden wir gerne sofort los.»
Tappser zeigte Mo auf der Karte, wo wir den Turm gesehen hatten.
«Alles klar! Ich mache mich nur noch kurz frisch und dann können wir los!»
Und Mo verschwand für wenige Minuten in seiner Hütte.
«Mir nach!», stapfte Mo uns voran durchs Wasser.
Durch den Matsch und an Schilf vorbei schlängelten wir uns durch den Sumpf. Wir kamen an einigen von Mos Torffeldern vorbei immer weiter in die Wildnis. Stunde um Stunde waren wir unterwegs, bis wir bei Anbruch der Dämmerung in der Mitte der Gegend ankamen, dort wo wir den Turm vermuteten.
Ich machte Tappser sehend und er erkannte, dass wir schon fast davor standen. Er war wohl riesig, seinem Blick nach zu urteilen. Mo brachte uns die letzten 300 Meter (Luftlinie) mit Tappsers Anweisungen noch zum Turm.
Für Tappser erhoben sich unzählige Geschosse in den Himmel und brachen sogar durch die Wolkendecke. Wir anderen standen mitten im Sumpf.
«Siehst du irgendwo einen Eingang?», fragte Cinar.
Tappser führte Mo ein paar Meter vor und befahl ihm, die Hand mal auszustrecken.
«Was ist denn das für eine Magie!?», rief dieser plötzlich aus.
Auf der anderen Seite des Turms erspähte Tappser dann den Eingang. Er klopfte. Es hallte. Die Tür war unverschlossen. Tappser öffnete sie einen Spalt breit. Es war dunkel. Er entzündete eine Fackel und hielt sie hinein und öffnete den Eingang noch etwas weiter. Nun konnten auch wir den Innenraum erkennen.
«Das ist ja ungewöhnlich!», staunte Eule.
«Nun, das ist ja – mnemnemne! Also ihr seid die ersten, die den Turm tatsächlich finden!», Mo war ganz aus dem Häuschen.
Doch mit hineinkommen wollte er nicht. Cinar gab ihm etwas Gold und eine Ration, damit er auf uns wartete.
«Zwei Tage aber maximal!»
Wir gaben ihm alles, was wir entbehren konnten, damit er gemütlich warten konnte und beraten den Turm.
Geflieste Wände und Böden. Keine grossen Verzierungen. In der Mitte des Raumes stand eine golden Schale auf einer Stele. Sonst nichts. Auf dere Schale war in elfisch eingraviert: gebt als Einlass den wertvollsten Besitz als Pfand.
«Das klingt aber nicht sehr freundlich», fand Cinar.
«Aber da steht Pfand, also kriegen wir es wieder zurück!», merkte ich an.
Tappser setzte die Rote Zora in die Schale. «Nichts ist wertvoller, als ein Leben.» Nichts passierte.
Wir versuchten reihum verschiedenste Dinge hineinzulegen. Ohne Erfolg.
Irgendwann bat Tappser uns, hinauszugehen und legte alleine unterschiedliche Dinge hinein. Nichts.
Hm. Ich bat die anderen, hinauszugehen und legte, alleine im Turm mein Mielikki-Amulett in die Schale. Sie verschwand und vor mir erschien eine goldene Tür. Doch sobald jemand anderes den Turm betrat, verschwand die Tür wieder und die Schale erschien (zum Glück mit Inhalt) wieder.
Nach langem, stundenlangem, Herumprobieren kamen wir endlich auf die Idee, das Gildenamulett hineinzulegen, da es das wertvollste magische Ding in unserem Besitz war. Und – die Tür blieb! Endlich konnten wir gemeinsam hindurchgehen.
Stockfinstere Nacht. Und Stufen. Ha! Ein Treppenhaus! Cinar entzündete eine Fackel und wir tasteten uns Stufe um Stufe hinauf, bis wir vor einer Wand standen. Diese schien aber nur eine Illusion zu sein. Cinar trat hindurch und wir hinterher. Wir betraten wieder einen schmucklosen Raum mit Stele in der Mitte. Doch diesmal gab es drei Türen. Auf jeder stand etwas anderes: Mirabar, Dark Arrow Keep und Moonwood.
Auf der Stele stand etwas eingraviert:
Ein Rätsel will ich euch geben. Müsst erraten seine Lösung. Die Türen geben die Antwort, doch nur eine führt in die gewünschte Richtung. Jeder platziert sich vor der Tür die er für richtig hält. Hat jeder gewählt, soll sich die Lösung euch offenbaren.Welches ist meine Heimatstadt?
Wir stellten uns vor die Tür nach Moonwood. Nach und nach blinkten die Türen und dann schwang die Tür auf, vor der wir standen. Dahinter befand sich eine solide Mooswand. Cinar berührte das Moos und plötzlich hinterliessen wir alle moosige Fussspuren, die nach kurzer Zeit verschwanden. Das war wohl die falsche Antwort gewesen.
Wir positionierten uns neu vor der ersten Tür, auf der Mirabar stand. Als diese aufschwang, gab sie den Blick auf ein weiteres Treppenhaus frei. Cinar entzündete seine Fackel erneut und wir erklommen die Stufen wieder, bis wir vor einer einfachen Tür standen. Tappser streckte vorsichtig seine Pfote aus und wurde plötzlich von einer uralten Mimic angegriffen!
Nach einem harten Kampf, während dem ich durch die Mimic gefressen und fast in ihrem Magen zersetzt worden war, erbrach sie mich aus und ein goldener Türknauf landete auf mir. Tappser steckte diesen ein und befreite mich mit etwas Wasser von dem Mangenschleim.
Der neue Raum war wieder identisch wie der vorherige angelegt.
Auf der Stele stand die Frage «welche der Legenden existiert wirklich?» eingraviert.
Tür 1: In dieser Region ist eine Legende bei jedem Kind bekannt. Als das Evermoor noch Evermeadow war, lag ein uralter Friedhof auf einer Anhöhe im Zentrum des Gebietes. Shamanen von Flintrock pflegten die Gräber und huldigten Kelemvor, dem Gott der über jene Grabstätten wachte. Doch geschah es zur großen Invasion der Orks, dass der Friedhof entweiht wurde und die Kultstätte Flintrock geschändet. Der Gott verfiel in Trauer und Zorn. So tränkte er mit seinen Tränen den Friedhof. Dieser versank auf ewig im Morast der Erde, die fortan für alle Tage eine schier unüberwindbare Barriere sein sollte.
Tür 2: Sundabar, einst von Riesen errichtet, war nicht von Beginn mit dem brodelnden Graben schwefligen Wassers umgeben. Unter der Stadt arbeiteten ihre Sklaven, die Zwerge, schürften zahlreiche Erze, um nicht in Ungnade zu fallen. Doch die müßigen Zwerge hatten einen Plan, um ihre Freiheit zu erkämpfen. Gezielt umgruben sie die Stadt. Der Boden wurde instabil. Als nun König Hardan, Anführer der Riesen, von der Jagd heimkehrte und die Stadtgrenze passieren wollte, gaben die Tunnel nach. Rings um die Stadt zog sich ein unüberwindbarerer Graben. Die Riesen waren gefangen. Alle Versuche ihn zu überwinden scheiterten und die Peiniger der Zwerge verhungerten im goldenen Käfig. Fortan nahmen die Zwerge sich der Stadt an. Alsbald war sie wichtige Zuflucht für ihr gesammtes Volk.
Tür 3: Eine alte Legende unter den Barbaren im Norden erwähnt den Berg Kelvin’s Cairn, hoch oben nördlich von Brynshander in Icewind Dale. Sie spricht davon, dass der Berg gar kein Berg ist. Viel mehr ist er ein gewaltiger Haufen riesiger Steine unter dem Tempus, der Gott des Krieges den Frostgiganten Kelvin begraben hat. Dieser hatte ihn zum Kampf herausgefordert und verloren.
Diese Aufgabe schien Tappser etwas zu überfordern und statt sich für eine Legende zu entscheiden, setzte er einen Fuss auf Cinars Brust. Dort spross sofort Moos in Form von Tappsers Hintertatze. Er begann wie ein Irrer zu kichern und die beiden rauften sich kurz.
Tür zwei öffnete sich, dahinter befand sich ein Bild von Sundabar an einer Wand. Wir verspürten plötzlich den Drang, alles mit Spitzhacken angreifen zu wollen. Hihihi! Das war wohl die falsche Antwort gewesen.
Hinter Tür drei befand sich das Treppenhaus. Ganz oben war wieder eine Tür, die Tappser vorsichtshalber beschoss. Plötzlich stand ein Tongolem vor uns. Na wunderbar. Das war wohl ein als Tür versiegelter Tongolem gewesen. Hätte keiner drauf geschossen, hätten wir einfach hindurchgehen können… Seufzend bereitete ich mich auf einen langen Kampf vor.
Nach einem tatsächlich scheinbar nicht enden wollenden Kampf, der uns alle nachhaltig beschädigt hatte, schnitt Eule endlich den Golem in winzige Tonhäppchen.