Yara 32 – Tierfutter
Der grosse, zu einem Paket verschnürten Vogel war nicht sehr begeistert von der Situation, in der er sich befand. Wir diskutierten eine ganze Weile, wie wir das Tier in die Stadt bringen sollten. Ganz einfach würde das nicht werden und so eine richtig zündende Idee bleib auch aus.
Vielleicht hatte Titus Eritus ja eine Idee. Doch der Weg in die Stadt war weit, frühstens im Dunkeln konnten wir dann wieder zueinander stossen. Wir mussten uns aufteilen, da irgendwer auf den Vogel aufpassen musste.
«Könnten wir nicht auch ein paar Bäume fällen und ihn darauf hinter uns herziehen?», schlug ich vor.
Das wäre allerdings zu schwer und würde uns noch mehr Zeit kosten. Also doch in die Stadt und Titus Eritus um Rat fragen. Cinar und Eule meldeten sich, um den Vogel zu bewachen, Tappser und ich machten uns also auf nach Mornbryns Schild.
In der Abenddämmerung kamen wir dort an. Tappser wollte zuerst im Inn nachsehen, doch die andere Abenteurergruppe war schon abgereist. Auch sonst kannte sich dort keiner so gut mit riesigen Tieren aus, dass er mit ihnen kommunizieren konnte. Also schlängelten wir uns durch die Ortschaft zu Titus Eritus.
Der Gnom hatte seine Katze auf dem Arm, als er uns die Tür öffnete.
«Ja? Ahh ihr seid zurück!»
«Wir haben jetzt eine neue Frage!»
«Wir haben ein kleines Vögelchen gefangen.»
«Oh, Vögelchen sind schön!»
«Ja, auch wenn sie sechs Meter… lang sind…»
«Oh, das ist aber kein kleines Vögelchen mehr, Katze, ich nenn dich ja auch nicht Kätchen. Du bist eine ganz fette Katze.»
Tappser plusterte sich empört auf.
Ich erklärte die Situation in der wir und der Vogel uns befanden, so gut es eben ging.
«Hm, ja, gute Frage, wie ihr den jetzt hierher bekommt, ich meine, der passt ja nicht in meine Gehege. Ich kenne auch keine so grossen Vögel, die hier in der Gegend leben. Vielleicht leiht ihr euch besser einen sehr grooossen Pferdekarren aus. Halfdar Eisenbrecher könnte vielleicht so einen haben.»
«Habt vielen Dank für die vielen guten Hinweise, Herr Eritus!»
«Kein Problem, es war mir eine Ehre, soweit ich helfen konnte.»
Im Hof Halfdars herrschte schon Stille. Es dauerte einen Moment, bis der Zwerg aufmachte, eine Hühnerkeule in der Hand haltend.
«Wie kann ich euch Helfen, habt ihr die Beeren für meine Frau?»
Tappser und ich überreichten ihm die Beerenausbeute.
«Da wart ihr aber fleissig!», staunte Halfdar.
«Ja, unsere Gefährten haben noch mehr, doch die bewachen gerade einen grossen Vogel… könnten wir dafür euren Pferdekarren ausleihen?»
«Nunja, das ist das Mindeste, wenn ihr meiner Frau doch einen grossen Gefallen gemacht habt. Doch was ist denn das für ein Vogel, dass ihr dafür einen Pferdekarren braucht?»
«Ein grosser Vogel… ein sehr grosser Vogel. Wir wissen selbst noch nicht genau, was für einer Gattung er angehöhren könnte.»
«Könnt ihr uns vielleicht auch helfen, die Pferde einzuschirren?», Tappser mühte sich schon am Karren ab.
«Hat das etwas Zeit, bis wir fertig sind mit dem Essen? Ihr seid natürlich herzlich eingeladen.»
«Gerne!», das musste man mir nicht zweimal sagen.
«Ähhh ich… hab noch etwas zu erledigen.» Typisch Tappser. Immer pseudomysteriös. Doch so mochten wir ihn alle.
Ich betrat also alleine mit Halfdar die rustikal eingerichtete Stube, in der es streng nach Kohlsuppe roch. Toll! Genau das Richtige für mich! Herrlich!
Etwas speziell schmeckte die Suppe allerdings schon.
«Das liegt am Granit! Ein Rezept meiner Urgrossmutter», verkündete Frau Ironbreaker stolz.
Draussen wartete Tappser nach dem Essen schon mampfend auf dem Pferdekarren. Halfdar half uns noch, die Pferde einzuschirren und übergab uns den Wagen. Die Pferde waren wohl etwas mürrisch, da sie in der Nacht nochmal arbeiten mussten und waren doch etwas stur. Wir versprachen ihnen die leckersten Äpfel und Möhren vom Markt des nächsten morgens. Die Pferde waren zähe Verhandlungspartner doch endlich setzten sie sich dann doch zufrieden in Bewegung. Zwei Säcke Äpfel und zwei Säcke Möhren pro Pferd waren wir ihnen schuldig. Plus die nächste Tagschicht auf dem Bauernhof, damit sie sich nach der Nachtschicht auch ausruhen konnten.
Sobald wir die Stadt verliessen wurde es doch sehr holprig. Wir waren gar etwas langsamer, als zu Fuss unterwegs. Doch irgendwann kamen wir endlich bei den anderen beiden an.
Bei unserem ersten Versuch, den Vogel auf den Karren zu hieven, stolperte Eule über einen Stein und das arme Federvieh kulltert in eine Senke. Mit einiger Mühe schafften wir es aber endlich, den Vogel auf den Karren zu ziehen. Tappser und ich gingen sicherheitshalber davor her, um nach Unebenheiten ausschau zu halten. Cinar streichelte den Kopf des Tiers und redete beruhigend auf ihn ein. Eule sass vorne auf dem Karren. Wir eckten noch ein paar Mal mit dem Karren an, aber irgendwie kamen wir in den noch dunklen Morgenstunden ganz solide in Mornbryns Schild an.
«Und jetzt?», wollte ich wissen.
«Wir sollten gucken, dass wir den Vogel gut behandeln und bei Titus Eritus nachfragen, ob er einen Unterschlupf für den Vogel kennt und wie wir ihn am besten versorgen.»
Ich erklärte mich bereit, die Pferde zurück zu Halfdar zu bringen und legte mich dann erst mal erschöpft neben dem Karren ins Gras, um eine kurze Stunde dösen zu können. In der Morgendämmerung brach ich zu Titus Eritus auf, erklärte ihm, wo die anderen und der Vogel war (er war ganz heiss darauf, das Tier zu sehen) und ging dann sofort zum Markt um Äpfel und Karotten zu kaufen.
Die ganzen Säcke waren aufgetürmt dann doch ein hoher Turm. Doch der Händler liess seine Bediensteten gern die Säcke gegen eine Liefergebühr zum Bauernhof bringen. Halfdar kam sofort heraus, um interessiert nachzufragen, was hier los sei. Ich erklärte ihm unseren Deal mit den Pferden.
«Na gut, wenn ihr die Arbeit so gut verrichtet, wie meine Pferde habe ich da nichts gegen. Dann treffen wir uns in einer Stunde bei meinen Feldern.»
Uh oh, das sollte ich besser den anderen mitteilen. Da mussten wir uns ja sputen!
«Der Vogel ist wohl ein Roc, ein Wüstenvogel. Man kann ihn zämen, aber er frisst eine ganze Kuh am Tag», erklärte mir Tappser.
«Was macht denn so ein Vogel hier?»
«Ja, die Frage hab ich mir auch schon gestellt», sagte Titus und rieb sich das Kinn.
«Egal, was mir gerade eher unter den Nägeln brennt, ist dass Halfdar uns in einer Stunde auf seinem Feld antreffen wollte.»
«Na, dann geht Eule einen Hirsch jagen, wir stellen den Hintereingang der Gildenhalle hierher, bringen den Vogel rein und schieben einen Hirsch hinterher… und dann sehen wir nach der Feldarbeit nach ihm», schlug Cinar vor. Na dann.
In der Gildenhalle waren die Leute offenbar sehr eifrig gewesen. Überall um das Anwesen herum war die Erde aufgerissen worden und lagen Stein- und Holzhaufen herum. Die Arbeiter gingen ehrfürchtig aus dem Weg und starrten dem Vogel nach.
Eule machte sich auf in den Wald, um nach einem Hirsch Ausschau zu halten, Cinar holte den Schmied, der eine grosse Kette für den Vogel schmieden sollte. Doch der war sehr verwundert über die Grösse des Vogels und meinte, dass er wohl kaum eine geeignete Kette schmieden könne. Ein Holzkäfig sei wohl die bessere Lösung und er versprach, Ronn, den Holzarbeiter zu holen.
Tappser ging Nehil holen, Cinar einen Baum fällen und… irgendwie dauerte das alles viel zu lange! Also einigten wir uns darauf, dass Tappser und Cinar das Feld pflügen gehen würden, ich würde den Käfigbau überwachen und auf den Vogel achten und Eule… die war noch mit Jagen beschäftigt.
Mit ein paar Handwerkern, die Ronn und ich Bryella («nur für heute, versprochen!») unter der Nase wegschnappten, beschafften wir uns das benötigte Holz und begannen, einen Käfig zu zimmern. Aufgrund der Grösse waren wir damit den ganzen Tag beschäftigt.
Am Ende des Tages, nach getaner Arbeit, sah ich mich noch etwas vor der Gildenhalle um und unterhielt mich mit Bryella über die Bauten. Es fehlten einige Dinge, für die eine richtige Schmiede benötigt wurde; Winkel, Nägel und so weiter. Bislang hatten sie alle diese Dinge in Nesmé gefunden, doch das Tor hatten wir gerade versetzt. Vielleicht konnten sich am nächsten Tag ein paar Leute in Mornbryns Schild umsehen, es gab ja genug Adlige hier, die sich mit Finanzen auskannten. Die konnten sich auch mal nützlich machen und ihre Verhandlungskünste auspacken.
Ich hatte mich gerade hingesetzt, um etwas zu essen, da kamen auch die anderen an. Tappser und Cinar sahen erschöpft aus. Eule kam freudestrahlend mit Vogelfutter an.
Wir hievten den Vogel in den Käfig, nachdem Eule ihre Beute hineingelegt hatte. Cinar ging hinein und zerschnitt das Seil um den Vogelschnabel und ich stand parat, falls er schnell hinausrennen und ich die Tür zuknallen musste. Er musste tatsächlich relativ plötzlich den Käfig verlassen, der Vogel war verständlicherweise ganz schön missmutig. Wir überliessen ihn erstmal seinem neuen Zuhause, nahmen noch ein Abendessen ein und konnten nach langer Zeit endlich mal wieder in unseren Flauschebetten schlafen.
«….trainer», verstand ich in dieser Nacht.
Ja, das war wohl nötig. Ein Trainer für den Vogel.
Nach einem ausgiebigen Frühstück gingen Cinar und ich zu Lady Tharbjörn, vielleicht konnte sie ja irgendwie als Vogeltrainerin unterstützen, hatte sie doch eine Hundetrainerschule.
Tappser und Eule machten sich auf nach Hopefast und Volgefutter zu jagen.
Auf dem Rückweg, mit Lady Tharbjörn im Schlepptau, die sich nur zu gerne so einen grossen Vogel ansehen wollte, kamen wir an einem halbfertigen Marktstand vorbei. Dahinter standen drei tuschelnde Kinder, die mich doch total ablenkten. Ich liess Cinar mit der Adligen vorgehen.
Es waren Sahid, Aki und Maurice, die vorgaben Verstecken zu spielen. Doch nach einigen bohrenden Fragen gaben sie zu, dass sie sich den Vogel hatten ansehen wollen. Den konnte ich ihnen natürlich gerne zeigen. Dabei stellte sich heraus, dass Sahids Vater ein Roc-Vogeltrainer gewesen war (er war hoffentlich auf dem Weg durch den Untergrund nach Neverwinter). Also stellte ich die Kinder kurzerhand Lady Tharbjörn zur Seite. Sie war darüber etwa so erfreut, wie über eine zweite Nase aber das kümmerte mich nicht. Und vielleicht wärmte sie Sahid gegenüber ja doch noch auf.
Cinar und Nehil wollten sich diese Szene natürlich nicht entgeehen lassen.