Yara 31 – Schuld und Sühne (und Vögel)
Auf dem Rückweg begleitete uns Lucas noch ein wenig. Hans war wieder aus Eule herausgefahren.
«Der verlässt normalerweise die Schule nicht», verriet uns Lucas. «Der hat zuviel Angst.»
Er kam mit, weil er den kleinen Werwolfsjungen einsammeln wollte. Ich hoffte, dass es ihm wieder gut ging. Hans› Schwester hatten wir nicht gefunden.
«Ja, eine von uns wird noch vermisst, das sollten wir nun aber schaffen. Vielleicht wurde sie auch auf die andere Seite des Bannkreises gezogen, aber da müssen wir ja nur die Spuren zur Schule verwischen, das schaffen wir schon. Geht ihr mal! Es wird auch schon hell!» und er schubste uns ein wenig in Richtung Waldlichtung.
Der Mond ging tatsächlich schon unter.
Aber ich wollte mehr über Lucas› Art wissen. Er war nämlich kein verwandelter Vampir, sondern ein Geborener. Er trank nur Tierblut und wollte Menschen nicht schaden.
«Du bist ja eigentlich ein ganz cooler Vampir!»
«Danke, ihr seid auch ganz tolle Abenteurer. Habt ihr denn schon andere Vampire getroffen?»
«Ja»
«Und leben die noch?»
«Ja, aber wir wären fast gestorben.»
«Achso, deswegen wolltet ihr nicht gegen mich kämpfen, ihr hattet Angst!», freute er sich.
Ein bisschen unterhielten wir uns noch über die Besonderheiten unserer beiden Welten udn machten uns dann aber auf zur Waldlichtung zurück.
«Vielleicht sieht man sich ja tatsächlich einmal wieder.»
So kamen wir bei der Brücke an, wo wir den Wolfsjungen kompakt verschnürt hatten. Wir verabschiedeten uns voneinander und gingen zurück zur Waldlichtung, zurück in die Krypta.
Cinar und ich sprangen als erstes in die Kuhle, Tappser und schliesslich Eule folgten sogleich.
Der Tisch war wieder reichlich gedeckt, es sah fast so aus, als hätten wir nie was gegessen, getrunken, oder das Feuer im Kamin mit einem Liter Orangensaft gelöscht.
«Essen! Und vielleicht sollten wir hier auch mal eine Runde schlafen? Ich bin hundemüde», schlug ich vor.
Alle waren einverstanden und Tappser und Cinar teilten sich die Wache.
Ich hörte nur aufgeregtes Gemurmel während des Schlafens.
Nach einer ereignislosen Nacht sahen wir uns noch etwas in der Krypta um. Irgend etwas mussten wir doch übersehen haben. Und tatsächlich fanden wir einen breiten Weg, der plötzlich vor einem grossen verschlossenen Tor endete.
Tappser fand auch nach einigen Minuten Suchen so etwas wie einen Mechanismus, der jedoch von unserer Seite her nicht auslösbar war. Das ging Cinar aber zu lange und er ging schon mal ein wenig weiter auskundschaften. Schnell lief Tappser ihm hinterher, als er merkte, dass es aussichtslos war zu versuchen, den Mechanismus auszulösen.
Plötzlich war Tappser weg. Er hatte mal wieder eine Falle gefunden und steckte hinter Gittern fest. Und wir konnten den Öffnungsmechanismus einfach nicht finden. Etwas weiter geradeaus war eine Brücke über einen schmalen Fluss, wohinter der eine überflutete Raum mit den Statuen war, den Tappser und ich am Vortag… naja, jedenfalls vor unserer Schlafpause, gefunden hatten.
Irgendwann schaffte Cinar es mit roher Gewalt die Gitterstäbe von Tappsers Falle soweit aufzustemmen, dass dieser sich rauswinden konnte.
Weiter ging die Erkundung. Wir fanden einen kleinen Strand und ein weiteres Ventilrad, das Cinar öffnete. Hm. Ganz leicht konnten wir über dem Rauschen des Flusses ein weiteres Rauschen vernehmen. Irgendwie. Nur Eule hörte nichts.
Tappser, der schon wieder vorauseilte, konnte gerade noch sehen, wie im Gang vor uns der Matsch langsam trocknete und brüchig wurde. Diesem getrockneten Matschflussbett folgten wir weiter, bis wir in den Raum kamen, in dem wir unsere erste Truhe gefunden hatten.
«Hm, vielleicht ist ja nun der überflutete Statuenraum leer?»
Und tatsächlich war kein Wasser mehr im Statuenraum. Nun konnten wir endlich die Kunstwerke etwas näher bestaunen. Es waren vier steinerne Ritterrüstungen, die beide Hände nach vorne reckten, zur jeweils schräg gegenüberliegenden Statue. Die Handflächen zeigten nach vorne.
Ha, witzig! Dachte ich mir, und klatschte die Statue vor mir mit beiden Händen ab.
«Hey, Leute! Die Hände sind ja warm!»
Als wir alle die Hände an die Statuen hielten, gab es ein kratzendes, schiebendes Geräusch, der Boden rüttelte ein wenig und die mittlere Steinfliese öffnete sich… und schloss sich augenblicklich wieder, als Tappser fluchtartig den Raum verliess. So ein Angstkater!
Langsam und vorsichtig kam er einen Augenblick später aber wieder hinein, kletterte auf seine Statue und hielt seine Tatzen von oben an die Hände der Statue.
«Komm schon, Tappser, da passiert schon nichts. Deine Pfoten sind so falsch rum, vertraue auf den Prozess!», versuchte ich ihn zu motivieren.
Kurze Zeit später rüttelte die Steinfliese wieder weg und gab eine Art kleines Loch frei. Dann hörten wir ein Klicken. Die Fliese war wohl eingerastet, denn wir konnten die Hände von den Statuen nehmen und das Loch blieb offen. Darin war eine Truhe.
«Eule, stemmt die doch mal auf mit deiner Stärke», forderte ich sie auf.
Eule sprang runter und hievte den Deckel zur Seite. Darin lag ein Horn und eigenartig silberglänzende Geldstücke. Das war ja Platin! 500 Platinmünzen lagen darin! Huii! Das Horn war ein silbernes Horn aus Valhalla, das Unterstützung rufen konnte. Sehr praktisch. Cinar nahm es an sich.
Wir entschieden uns auch dafür, die Platinmünzen in der unendlichen Tasche mitzunehmen. Falls wir bemerkten, dass irgendwelche Wesen deswegen stinkig wären, wollten wir es wieder zurücklegen.
Wir erinnerten uns an einen zweiten überfluteten Raum, in der Nähe des Tischlein-Deck-Dich Raumes. Also suchten wir den Weg dahin zurück. Auch der Raum war nun frei von Wasser. In der Mitte stand ein grosser Monolith mit einer Truhe davor. Eule und Cinar öffneten sie. Darin war ein Stab und gelbliche Münzen. Der Stab stellte sich nach eingehender Betrachtung meinerseits nicht als gewaltiger Zahnstocher heraus (wie Eule vermutet hatte); sondern als ein Stab der Heilung. Tappser steckte die Münzen in die unendliche Tasche und ich durfte den Stab haben! So ganz wohl war mir zwar nicht dabei, aber vielleicht würde er sich als hilfreich erweisen. Wer weiss, wer oder was hier unten noch so steckte.
Plötzlich kam ein Naturgeist in den Raum gezuckelt. Doch nach drei Schlägen von Cinar und Tappser war er auch schon wieder Geschichte.
Wir durchsuchten nun weiter die Krypta. Hatten wir noch irgendwo etwas übersehen? Im Giftraum war nun auch kein giftiger Nebel mehr, jedoch ein weiterer Geist. Schnell war auch dieser besiegt und wir gingen nochmal eine Runde durch das ausgetrocknete Flussbett, bevor wir zu den grossen Toren zurückkehrten, die nun offen standen!
Der Raum dahinter wurde in der Mitte von vier Säulen gestützt, wovon eine allerdings schon ziemlich instabil aussah. Hier waren vier steinerne, riesige Drachenköpfe, die sich wieder diagonal mit geöffneten Mäulern ansahen. Ein fünfter Drachenkopf war am Nordende des Raumes. Auch dieser hatte sein Maul weit geöffnet.
In der Mitte des Raumes stand eine Dryade, die uns böse ansah.
Sie sprach in einer Sprache, die keiner von uns verstand und weitere Dryaden erschienen.
Wieder mussten wir gegen Naturgeister kämpfen. Wieder verstand ich nicht, warum. War ich zu blöd, irgend etwas zu erkennen?
Eule schaffte es igendwann, die Hauptdryade zu zerschnetzeln (und zu beleidigen, denn auf orkisch rief sie ihr noch zu: «Deine Mutter Basilikum!», das erfuhr ich aber erst viel später, ich kann ja kein orkisch).
Da standen wir nun in dem Raum und nur die steinernen Drachenköpfe sahen uns noch an. Und wir unterzogen diese einer genaueren Inspektion. Besonders auffällig war die Zunge, die schien aus einem anderen Stein geschaffen zu sein, als der Rest. Eule und ich stellten uns in die Köpfe rein, auf die Zungen, die sich etwas hinunter senkten. Cinar machte es uns nach, nur Tappser war mal wieder ein Hühnchen und traute sich nicht.
«Es war eine zweifelhafte Ehre, euch kennen zu lernen», sagte er noch, bevor er sich auch auf den Stein stellte.
Im Rachen des fünften Drachens gab ein Stein nach und dahinter konnten wir eine weitere Kammer erkennen.
Es war ein Raum, der vor kurzem noch überflutet zu sein schien. Viele Pfützen waren noch zu sehen, doch ganz hinten war auch ein Mauergang, der hinab führte.
Cinar, Eule und ich gingen hinunter. Tappser sah sich noch etwas genauer um, folgte uns dann aber, als er nichts mehr finden konnte.
Der Gang war eng, der Boden rutschig und lehmig. Je weiter wir nach unten kamen, desto schwieriger war es, etwas zu erkennen. Eine Art Schleier legte sich auf meine Augen. Ich blinzelte ein paar mal, doch es blieb wie neblig. Irgendwann fing auch Eules Fackel an zu flackern, das Licht schien schwächer zu werden. Dann kamen wir an eine Steintür, an der recht offensichtlich rechts daneben ein hölzerner Hebel befestigt war…. der abbrach. Morsch.
Mit seiner geballten übernatürlichen Kraft drückte Cinar die Halterung des Hebels hinunter und die Steintür glitt nach unten weg. Dahinter war ein weiterer Gang, trockner als der Vorherige. Die Wände waren allerdings doch noch ein wenig feucht.
Plötzlich waren keine Wände mehr an unseren Seiten. Wir waren wohl in einen Raum gekommen, doch man sah die Hand kaum vor Augen. Eules Fackel gab nur noch ein ganz fahles Licht ab, kaum der Rede wert, als ob sie gleich erlöschen würde.
Tappser hielt uns mit einer Hand zurück und schlich sich vor.
Als sich meine Augen etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich ganz leicht Umrisse von Feuerschalen erkennen und Glitzerzeugs auf dem Boden.
Da hörten wir ein «Auaaa!» von Tappser, der einen Dolch in seinem Rücken verspürte!
Cinar entzündete sein Schwert.
Ich aktivierte sofort meine lebensspendende Aura und liess mit meinem heiligen Feuer eine Feuerschale sich entzünden. Plötzlich blendete mich helles Licht!
Cinar entzündete eine zweite Feuerschale mit seinem Schwert.
Nach ein paar blinden Stolpereien und Angriffe von einem unsichtbaren Gegner, einigen Heilaktionen meinerseits für Eule und Tappser schaffte es Cinar auch, eine dritte Feuerschale zu entzünden, in dem er eine Fackel hineinwirft.
Der Dieb aus der Gaststätte stand da! Er trug seine Kapuzenjacke, worunter nur Schwärze zu sehen war. Tappser entfachte die Glut in der vierten und letzten Feuerschale des Raumes.
Da blies ein kräftiger Windhauch von oben hinab und wir standen wieder im Stockfinsteren. Blöd.
Wir schafften es jedoch schnell, zwei der Schalen wieder anzuzünden, jedoch nicht ohne weitere Verletzungen hinnehmen zu müssen. Der Dieb war unglaublich schnell! Im Licht der zweiten Feuerschale wurde er jedoch wieder sichtbar und Tappser rannte auf allen vieren auf ihn zu und entriss ihm seine Kapuzenrobe. Darunter erkannten wir ein schattenhaftes Wesen, das nicht so richtig zu fokussieren war. Auf was waren wir hier wieder gestossen, um Mielikkis Willen? Tappser steckte die Robe ganz schnell in die unendliche Tasche.
Immer wieder gingen die Flammen aus. Immer wieder mussten wir sie auf gut Glück neu entzünden, um unseren Gegner überhaupt erkennen zu können. Und immer wieder zogen wir uns scheinbar aus dem Nichts klaffende Wunden zu. Ausserdem legte er jedes Mal Fallen, die unsere Bewegungen einschränkten.
Wir verteilten uns auf die vier Flammenschalen auf, um sie jedesmal wieder anzünden zu können, sobald das Schattenwesen sie wieder auspustete.
Endlich, endlich – ich hatte schon fast keine Zauberpuste mehr und alle meine Freunde waren verletzt – konnten wir ihn mit einer letzten verzweifelten Aktion besiegen.
Nun konnten wir ihn genauer ansehen. Unter den Schatten kam ein Tiefling hervor, der halb von einem Dämonenwesen überwuchert zu sein schien. Armer Tiefling!
Wo war Tappser? Er war nirgendwo mehr zu sehen! Zu hören war er auch nicht mehr und auf unsere Rufe reagierte er nicht. Hatte er sich im Kampf in den Schatten so gut getarnt, dass er für uns nun auch nicht mehr zu sehen war? Oder war er jetzt von diesen dämonischen Schatten umgeben? Wir zündeten schnell alle Feuerschalen an und suchten den Raum ab. Nach einiger Herumstolperei konnten wir ihn schliesslich finden. Irgendwie war er unsichtbar geworden und während des Kampfes in Ohnmacht gefallen. Wir stabilisierten ihn so gut es ging und mussten dann darauf warten, dass er zu sich kam. Meine Heilkraft war erschöpft. Währenddessen konnte ich mich auf meinen neuen Heilstab einstimmen.
Nach unserer Pause und als Tappser wieder sichtbar war – er hatte sich seinen Kapuzenpulli aus der Truhe angezogen und war deswegen nicht mehr zu sehen gewesen – konnten wir uns in aller Ruhe im Raum umsehen. Wir suchten nach dem gestohlenen Kram der Leute, die wir kennen gelernt hatten. Das Tiara von Emil Gartons Enkelin, die Brosche der anderen Abenteurergruppe, einige Geldbeutel mit Namen darauf und andere auffällige Sachen nahmen wir an uns.
Wir waren alle total erschöpft und schliefen kurzerhand auf dem harten Gold ein.
Nach all den Strapazen konnte ich sogar richtig gut schlafen. Doch im Schlaf höre ich Mielikkis Stimmen, die mir vorwurfsvoll und wie in einem Albtraum zuraunten:
«Du bist in Ungnade gefallen!»
Was… warum? Ich erwachte wie vom Donner gerührt und war total verwirrt.
Auch die anderen wurden langsam wach, Eule war schon dabei, unseren Gegner nochmals genauer zu untersuchen. Tappser meinte, die Tieflinge die er kannte, hätten keine solchen komischen Auswüchse gehabt. Ich stupse ihn mit meinem Stab nochmals an. Zum Glück passierte nichts.
Ich schien wohl so unruhig und verzweifelt (um nicht zu sagen weinerlich), dass die anderen nicht umhin kamen, es zu bemerken. Ich erzählte ihnen alles. Ich konnte es mir nicht richtig erklären.
Vielleicht könnte Menlo Schildwächter es uns erklären, wenn wir ihm alles beichteten. Das war eine gute Idee, die mir Angst machte. Er hatte ja auch eine gute Verbindung zu Mielikki und ich war ihr Champion! Und trotzdem wusste ich nicht, woran es liegen könnte.
Ich blieb total unruhig. Im Raum mit den gefallenen Dryaden betete ich zu Mielikki, doch erhielt keine Antwort. Auf dem Rückweg in die Oberwelt holte ich mein altes Mielikkiamulett wieder aus der Schale und wir kehrten zurück in den Turm von Mornbryns Schild. Die Eingangstür in die Krypta versiegelten wir wieder, sodass nicht mehr zu sehen, war wo er sich befand.
Vor dem «Troll in Flammen Inn» stand ein älterer Mann mit einem langen grauen Bart. Er zog genüsslich an seiner Pfeife.
«Guten Tag werter Herr, könnt ihr uns sagen, wo sich Menlo Schildwächter zur Zeit befindet?»
«Ich glaube, der wollte zu Herrn Garton.»
«Wer seid ihr denn?», wollte ich wissen.
«Mmmhh, öh, Meriet», stammelte er. «Und ihr?»
«Wir sind ein paar Abenteurer», warf Tappser schnell ein.
«Naja, davon haben wir ja einige im Dorf momentan.»
«Ja, wir haben gestern den Dieb hier im Dorf dingfest gemacht.»
«Ach deswegen schleppt ihr diese Abscheulichkeit hinter euch her.» Tappser hatte die Leiche des Tieflings irgendwie mit nach oben gebracht.
«Ja, wir wollten sie noch begraben.»
«Aber nicht auf unserem Friedhof!», rief der Mann entrüstet.
Ich liess mir von Tappser das Diadem Gartons Enkelin aushändigen, und brach dann alleine zu ihm auf. Ich war in Ungnade gefallen, irgendwie musste ich das wieder geradebiegen.
Ich klopfte an und nach einem Augenblick machte Garton wie immer unwirsch auf. Am Tisch hinter ihm erspähte ich Menlo.
«Ja bitte, was willst du?»
«Ich habe hier das Diadem deiner Enkeltochter!»
«Oh, ihr wart also erfolgreich? Vielen Dank! Jetzt bitte das Amulett zurück!» und er streckte die Hand aus.
Ich ignorierte ihn.
«Dürfte ich mit Menlo Schildwächter sprechen?»
«Wir sind eigentlich gerade beschäftigt, aber ja, tretet kurz ein.»
Ich beichtete Menlo Schildwächter, dass wir Naturgeister besiegen mussten. Vielleicht war Mielikki ja deswegen so erzürnt. Dann gab ich ihm sein Amulett zurück. Ich war seiner nicht mehr würdig.
«Hm, dass Naturgeister euch angreifen ist doch sehr ungewöhnlich. Das ist mir noch nie vorgekommen.»
«Mir auch nicht», warf Garton ein.
«Nun… dann wird es das wohl sein… was kann ich nur tun?»
«Nun, ich bin mir sicher, dass ihr euren Disput mit der Göttin klären könnt. Vielleicht solltet ihr einfach weiter Gutes tun und mit gutem Beispiel vorangehen.»
Nicht wirklich ermutigt gehe ich zurück zu meinen Gefährten.
Tappser war verwundert, warum ich Herrn Schildwächter nicht hierher geholt hatte. Ich war mit meinen Gedanken heute einfach woanders… Nachdem Tappser ihn nochmal angesprochen und hergeholt hatte wurde uns klar, dass wir doch die ganzen Sachen aus den Truhen unten hätten lassen sollen. Das waren ja alles Grabbeigaben gewesen. Oje, hatte ich das vergessen zu erwähnen? Menlo Schildwächter sah mich jedenfalls sehr eindringlich an, als Tappser ihm dies berichtete und meinte, dass es vielleicht auch daran liegen könnte, dass Mielikki mir ungnädig war. Ich stand nur daneben und liess meinen Tränen freien Lauf.
Auch die Geldbeutel und alle anderen Dinge, die wir mitgenommen hatten, gaben wir Menlo. Einige Geldbeutel gab er uns wieder zurück. Da standen Namen drauf, die er nicht kannte: Josephus, Climm, Gareth, Cordelia, Vashti und Hepzibah. Zwei Geldbeutel, die von der anderen Abenteurergruppe waren, würde er ihnen sofort bringen.
Am Dorfbrunnen beteten Tappser und ich zu Mielikki und bitten um Verzeihung. Ich schluchzte meine Scham und Trauer lautstark hinaus und hatte mittlerweile auch einen Schluckauf bekommen. Eigentlich wollten wir alles wieder zurück in die Gruft bringen, doch Tappser weigerte sich, die Geldbeutel herauszugeben.
«Zuerst müssen wir rausfinden, wem die gehören, vielleicht sind die ja auch gestohlen worden.»
Der alte Mann mit der Pfeife, der noch immer vor der Gaststätte stand, kannte Vashti und erklärte uns, wo er wohnte. Wir klopften dort also an der Tür und liessen uns den Geldbeutel beschreiben.
«Der wurde mir ganz zu Beginn, als das mit der Dieberei hier losging gestohlen», meinte er.
Auch wusste er, wer Cordelia war. Das war die Geliebte Mornbryns gewesen. Diesen Geldbeutel konnten wir also beruhigt wieder mit nach unten nehmen. Die anderen Namen sagten auch Vashti nichts.
Als nächstes statteten wir Halfdar Eisenbrecher noch einen Besuch ab. Wir zeigten ihm die vier verbliebenen Geldbeutel. Gareth sagt ihm was.
«Ein prächtiger Goliath war das! Leider weilt er nicht mehr unter uns.»
Noch ein Geldbeutel konnte wieder mit in die Gruft.
«Oh und ich dachte, ihr seid nochmal zurückgekommen, um zu helfen. Meine Frau möchte Marmelade aus Waldbeeren kochen, doch da gibt es Bären und so. Und mein Amulett könnt ihr mir bei der Gelegenheit dann auch wiedergeben.»
«Wir können bestimmt ein paar Bären mitbringen», meinte Eule. «Ich weiss zwar nicht, wie man daraus Marmelade machen kann, aber in Ordnung.»
Das Amulett behielten wir vorerst. Schliesslich hatten wir eins zu wenig, da ich meins schon zurückgegeben hatte.
Einen Besuch wollten wir noch Titus Eritus abstatten, vielleicht wusste er noch was mit einem der Namen anzufangen.
«Oh, ich habe mich schon gefragt, wo ihr bleibt, der Berglöwe möchte zurück und zwar schon eine ganze Weile!»
Tappser erklärte sich einverstanden, ihn zurück zu geleiten, während Cinar, Eule und ich in der Gruft sein würden.
«Der Typ ist ja verrückt!», beschwerte sich der Berglöwe. «Aber immerhin gab es gutes Essen!»
Herr Eritus kannte leider keinen der weiteren Namen auf den Geldbeuteln.
Als letzten fragten wir Emil Garton noch nach den Geldbeuteln, doch auch ihm sagten die Namen nichts. Also beliessen wir es dabei und würden alle Dinge aus der Krypta wieder zurückbringen.
Wir teilten uns auf. Während Tappser den Berglöwen wieder in die Heimat geleitete, gingen Cinar, Eule und ich zurück in die Krypta.
Diesmal durfte ich den geheimen Spruch sagen, der den Zugang öffnete.
Bei der ersten Truhe angekommen, legten wir alles, was wir entwendet hatten zurück in die Truhe. Ich sandte ein Stossgebet zu Mielikki. Vielleicht war sie nun schon besänftigt? Es legte sich ein warmes Gefühl über mich und ich konnte eine Präsenz spüren, warm aber doch distanziert. Mir kam eine Idee: am Schrein in der Krypta würde ich nochmals zu ihr beten und mich offiziell entschuldigen. Dafür musste ich alleine sein. Eule und Cinar schickte ich zurück.
«Ich habe noch eine letzte Sache zu erledigen, aber dafür muss ich alleine sein.»
«In Ordnung aber pass auf dich auf!»
Also betete ich zu meiner Göttin:
«Ich wende mich an dich mit tiefster Reue,
sei dir gewiss meiner unendlichen Treue.
Die Grabbeigaben sind wieder zurück,
bitte segnet mich wieder mit Eurer Gnade,
das wäre für mcih mein grösstes Glück
und auch, dass ich etwas gelernt habe.»
Sofort spürte ich wieder die wohlige Wärme von zuvor, doch ohne die Distanziertheit. Mir wurde vergeben, da war ich mir sicher. Jeder machte mal Fehler, auch ein offizieller Champion von Mielikki. Ich trocknete meine Tränen und auch der Schluckauf war weg. Dann nahm ich das alte Amulett aus der Schale, sodass die Gruft wieder versiegelte. Wie neugeboren erklomm ich die Treppen zu meinen Gefährten und mit einem Lächeln im Gesicht liess ich auch die Geheimtür wieder versiegeln.
«Mir geht’s wieder gut, denke ich», sagte ich auf Eules Nachfrage.»Mir ist wieder warm.»
Irgendwann kam auch Tappser wieder zurück. «Berglöwe erfolgreich heimgebracht.»
Dann konnten wir jetzt auch die drei übrigen Amulette zurückgeben.
«Wie ist es denn gelaufen, kleine Yara?»
«Mir geht’s gut, mir ist wieder warm und der Schluckauf ist auch weg!», strahlte ich ihn an.
«Aaaach, das freut mich!»
Wir brachten die Amulette wieder zu ihren angestammten Besitzern zurück. Am späten Nachmittag wollten wir dann zum Wirtshaus, um den anderen Abenteurern ihre Brosche und Geldkatzen wieder zu geben. Als wir den Gästeraum betraten, sassen sie auch schon an ihrem gewohnten Platz.
«Menlo Schildwächter hat eure Geldkatzen», verkündete Tappser ohne Begrüssung. Dann zog er die Brosche aus der Tasche.
«Ah! Unser… Ihr habt sie wieder!»
«Jahaa, aber bevor ihr sie bekommt, erzählt ihr mir, was dahinter steckt!»
«Wir haben in unserer letzten Aufenthaltsstätte einige Zeit mit einer alten Dame verbracht. Die Brosche gehörte ihr und wir bringen sie nach ihrem Ableben zu ihrem Mann, der in der Nähe von Neverwinter wohnt.»
Tappser händigte die Brosche aus und fragte nach dem Leuchtsand.
«Achso, natürlich», und Eleanore reichte Tappser den Sand.
«Wieder eine Aufgabe erledigt!», verkündete sie voller Stolz. «Den Dieb dingfest gemacht, die Brosche ist auch wieder da!»
Sich mit fremden Federn schmücken konnte sie gut!
Ich fragte nach den Namen der anderen beiden. Climm und Jord. Ups. Climm, der Mensch der Gruppe, würde dann wohl leider leer ausgehen. Er brummte, als er die schlechte Nachricht vernahm.
«Aber ich bin mir sicher, dass Eure Gefährten mit Euch teilen werden», versuchte ich ihn zu trösten.
«Ja natürlich! Wir halten doch zusammen!», immerhin war die Elfe grosszügig. «Dann sehen wir uns morgen?»
Wir verabredeten uns für den nächsten Tag um zusammen die Leiche des Diebes zu vergraben. Wenn sie sich schon als Sieger benahmen, konnten sie auch etwas dafür tun.
Wir brachten die Leiche trotzdem noch am selben Abend vom Stadtplatz raus aus der Stadt und verscharrten sie auf einer Wiese. Danach machten wir uns sauber und nahmen etwas zu uns. Ich bestellte wieder ein Gericht mit viel Gemüse und Kartoffeln und Bohnen und dazu einen gewässerten Wein.
Tappser und Eule erhielten Keulen, Cinar und ich eine Platte mit Süss- und normalen Kartoffeln, Gemüse und Krautsalat. Wir genossen einfach den frühen Abend und liessen ihn in Ruhe ausklingen. Das hatten wir uns auch verdient, nach all den schwierigen Aufgaben hier! Dann gingen wir früh schlafen.
«Achte auf Vögel», verstand ich in dieser Nacht.
Ojeojeoje, war war denn jetzt in die Vögel gefahren? Nach dem aufstehen ging ich schnurstracks zum Fenster. Die ersten Tauben flogen gerade vorbei auf der Suche nach einem essbaren Krümel auf dem Marktplatz. Ach, da stand ja auch Tappser schon beim Brotstand und mampfte genüsslich Sauerteiggebäck. Ich tat es ihm gleich, immer mit Argwohn auf den Himmel achtend.
«Na wie sieht eure Planung für den Tag aus?», fragte Tappser.
«Ich achte auf Vögel!»
Die Eleanore Abenteurergruppe wartete auch schon auf uns, doch Tappser sagte ihnen schnell Bescheid, dass wir die Arbeit schon am Vorabend erledigt hatten.
«Ach, das habt ihr schon erledigt? Ich meine: habt ihr super gemacht!»
Tappser rollte nur mit den Augen und verabschiedete sich von den anderen. Da sie hier wohl alles erledigt hatten, wollten sie heute Mornbryns Schild verlassen.
Wir brachen in den Wald auf um Beeren und Bären für Marmelade zu suchen. Mit einer kleinen Fähre überquerten wir den Surbin Fluss und danach waren wir eine ganze Weile unterwegs, bis wir den Wald erreichten. So viel offener Himmel und so viele Vögel! Es war zum verrückt werden!
Schliesslich gelangten wir in einen Wald, der ziemlich idyllisch aussah. Dort! Ein Specht! Und ein Kuckuck! Aber beide schienen nichts Aussergewöhnliches zu tun. Ich behielt sie dennoch sicherheitshalber im Auge, ich traute dem Frieden nicht.
Eule erspähte eine kleine Ebene mit vielen Heidelbeerbüschen und Cinar fand sogar ein paar Himbeeren. Wir machten uns eifrig ans Pflücken. Da würde sich Halfdar Eisenbrechers Frau freuen! Fast vergass ich schon wieder die Vögel, als Tapser plötzlich warnte:
«Psst! Da hinten röhrt ein Tier! Vielleicht so ein Hirschding! Ui, das würde ich mir gerne ansehen, kommt wer mit?»
«Ja, ich!», sagten Euel und ich wie aus einem Mund.
Wir versuchten alle ganz leise zu sein, doch Eule machte so viel krach, dass nur Tappser, der vorweg pirschte noch einen Blick auf den Hirsch erhaschen konnte, bevor dieser verscheucht wurde.
«Ähh, Yara?», meinte Tappser plötzlich alarmiert, «kann ein Hirsch einfach so in den Himmel verschwinden?»
«Das waren die Vögel! Die Vögel!!!», rief ich aufgebracht. Ich wusste es!
«Was für Vögel?»
«Ich weiss auch nicht so genau, nur dass Mielikki mich heute Nacht vor Vögeln gewarnt hat!»
Es war schwierig, durch das Blätterdach zu gucken. Tappser behauptete, einen bunten Vogel gesehen zu haben. Oder jedenfalls ein paar bunte Federn, bevor der Hirsch verschwunden… worden war. Wir erspähten zwar jede Menge Waldvögel, jedoch keinen mit buntem Federkleid. Tappser fand noch einige Fellfetzen und Blutstropfen, wo er den Hirsch zuletzt gesehen hatte. Doch keine Federn auf dem Boden.
Von einem Vogel war nichts mehr zu sehen.
Eule kletterte auf einen Baum, um sich einen Überblick zu verschaffen, doch der Himmel war frei von grossen Vögeln. Hm. Wir entschieden uns, zurück in die Stadt zu gehen. Beeren hatten wir genug.
Auf dem Weg achtete ich ganz besonders auf den Himmel. Ich traute dem Frieden keinen Meter weit. Doch wir alle sahen weder weitere bunte Vögel, noch Beeren, Bären oder Fallen. Nichts Ungewöhnliches. Wir streiften schon durch die Wiesen zurück Richtung Mornbryns Schild, als ich in der Ferne aus dem Wald einen Vogel aufsteigen sah, der uns entgegenflog. Das wars! Das musste er sein!
«Leute! Deckung! Deckunggg!!!», warnte ich.
Tappser schnappte sich sofort seine Armbrust und schoss, doch der Vogel war flink.
Als er näher kam, sahen wir, dass es ein farbenprächtiger, riesiger Greifvogel war. Am markantesten waren seine drei lagen roten Schwanzfedern. Und er hielt direkt auf Eule zu! Eh ich michs versah, versuchte er, die Drachendame in die Lüfte zu heben, doch glücklicherweise kann sie ihn abwehren, da pickte er sie nochmals mit seinem Schnabel. Zum Glück hatten meine Gefährten noch einige Parabolzen vom Drachenkampf übrig, die sie nun auf den Vogel feuerten. Der Vogel fing schon bald an, zu lahmen.
Dann hing plötzlich Tapper in den Klauen. Doch Eule und Cinar schossen weiter, was die Bolzen und Speere hielten, bis er so erlahmte, dass er Tappser wieder fallen lassen musste. Aus zehn Metern Höhe. Ich konnte nicht hinsehen! Der Aufprall hörte sich schmerzhaft an. Und dann hackte das Riesentier auch noch auf Tappser rum, sodass er mit einer Kerbe im Ohr davonrannte.
Während dem Rest des Kampfes hatte ich alle Hände voll zu tun, meine Gefährten zu heilen. Bis der Vogel irgendwann so erlahmte, dass er landen musste. Dann ging alles sehr schnell: Tappser band dem Tier ein Seil um die Füsse und kletterte behände auf seinen Rücken. Er versuchte, den Tabaxi abzuschütteln doch dieser blieb sicher auf dem Vogel sitzen, während ich den Schnabel abkriegte. Aua, aua, der war aber spitz!
Tappser verknotete das Seil geschickt überkreuz um den Hals und zurrte es zusammen, sodass die Bewegungen des Tiers nur noch sehr eingeschränkt waren. Der Schnabel war aber nach wie vor gefährlich.
Cinar kam zu Hilfe und nach einem Moment des Ringens schaffte er es auch, den Schnabel einzupacken.
Der Vogel war bewegungsunfähig und ich konnte in aller Ruhe Tappsers Ohr heilen.
Cinar war begeistert von der Idee, den Vogel als Reittier zu zähmen. Nunja, Druiden, Barden und Waldläufer konnten einen Zauber, durch den sie mit jeglichen Tieren kommunizieren konnten. Den gab es bestimmt auch als Schriftrolle, sodass Cinar dann auch mit dem Riesenvogel reden könnte…. doch wie sollten wir ihn in die Stadt bringen?